„Ich hab das Paradies gesehen“
Achim Reichel: Auftakt zur Abschiedstournee in Bremen
Seit mehr als 60 Jahren ist der Musiker und Musikproduzent Achim Reichel auf der Bühne zu Hause. 1963 tourte der „Urvater des deutschen Rock“ mit den damals noch unbekannten Rolling Stones durch England und begleitete die Beatles 1966 auf ihrer einzigen Deutschland-Tournee.
Einer seiner bekanntesten Songs ist unumstritten „Aloha Heja He“ aus dem Jahr 1991, mit dem er zuletzt sowohl in den TikTok-Rankings als auch bei Shazam in China auf Platz eins gelandet ist. In diesem Jahr begibt sich der Vollblutmusiker unter dem Motto „Jetzt oder nie“ auf Abschiedstournee und gastiert zum Auftakt seiner Konzertreise im Bremer Metropol Theater. Michaela Schaffrath hat Achim Reichel in seinem Tonstudio in Hamburg besucht und mit ihm über sein bewegtes Leben gesprochen.
Lieber Achim, du startest in Bremen mit Deiner Tournee „Jetzt oder nie“. Warum hast Du diesen Namen gewählt?
Die letzte Tour war 2019 und derartig erfolgreich, dass der Veranstalter noch einen „Nachschlag“ für 2020 gebucht hatte. Und dann fing der ganze Corona-Kram an und die Tournee wurde zweimal in Folge abgesagt. Da ich mittlerweile gut zwei Jahre auf keiner Bühne mehr war, hab ich gesagt: „Jetzt oder nie“.
Welche Verbindung hast du zu Bremen?
Ich bin immer gerne in Bremen und habe sehr gute Erinnerungen an meine Konzerte in der Stadt. In Bremen hat es viele Läden gegeben, in denen ich früher unterwegs war. Außerdem hatte ich einige Auftritte in den legendären Sendungen „Beat-Club“ und „Musikladen“. Meine Mutter ist übrigens in Bremerhaven geboren und aufgewachsen. Als Kind war ich öfter dort, um meine Verwandten zu besuchen.
In den frühen Jahren Deiner Karriere hast Du mit dem waschechten Bremer James Last zusammengearbeitet. Wie kam es dazu?
Nach meiner Zeit bei der Bundeswehr habe ich die Band „Wonderland“ gegründet und die Zusammenarbeit mit James Last wurde von der damaligen Plattenfirma Polydor vorgeschlagen. Er sollte unseren Song „Moscow“ produzieren und daraus einen Hit machen. Anfangs dachten wir: Kann der das? Die Zusammenarbeit war ungemein interessant und der Song wurde ein großer Erfolg. James Last war ein hochsympathischer Mensch und ein wirklich kompetenter Musiker.
Kommen wir zurück zur aktuellen Tour. Soll das wirklich deine Abschiedstournee sein?
Ja, das habe ich mir so gedacht. Ich mache vielleicht nicht den Eindruck, aber ich werde jetzt 79. Und wenn man das wirklich schon so lange macht wie ich, dann ist irgendwann ein Punkt erreicht, an dem man denkt, jetzt möchte ich was anderes machen. Ich habe noch die prallen Zeiten erlebt, in denen es jede Menge innovative, neue Musik gab und ich mich austoben konnte. Ich denke oft: Alter, du machst das jetzt schon über 60 Jahre und hast im Grunde genommen immer wieder Erfolg gehabt. Das ist ja wie ein Geschenk des Himmels.
Du hast dich musikalisch immer wieder neu erfunden, hast von experimentellen Klängen über verrockte Seemannslieder bis hin zur Popmusik und altgermanischen Balladen alles gemacht. Bist du im Herzen ein Rocker geblieben?
Ja, klar. Diese ganzen Projekte, ob das Volkslied-Erneuerung war oder Balladen-Vertonung, habe ich alles durch die Rocker-Brille gesehen. Das heißt, die Arrangements und die Kompositionen für die Balladen sind alle aus dem Jetzt angehaucht. Früher gab es rockige Rhythmusauffassungen, die gab es ja gar nicht in Europa. Das ist ein Ergebnis von amerikanischer Mischkultur. Ich habe damals so für mich gedacht, dass Shanty im Grunde genommen „Volksrock“ ist. Am Anfang wollte das keine Plattenfirma haben. Aber die, die es dann doch gemacht haben, haben es nicht bereut. Dann ging’s richtig ab!
Bevor es bei Dir als Solokünstler richtig abging, warst Du bereits in den 60er-Jahren als Frontman mit den „Rattles“ sehr erfolgreich. Ihr ward unter anderem mit den Stones, Joe Cocker und den Beatles unterwegs. Hier hängt ein Foto von Dir und Paul McCartney. Das ist aber nicht aus den 60ern?
Das Foto ist 2006 entstanden, bei einem Konzert von Paul in Hamburg. Er hat mich eingeladen und wir haben uns Backstage getroffen und über unsere gemeinsamen Zeiten, unter anderem im „Star-Club“ geschnackt. Sein Fotograf hat ein paar Fotos von uns beiden gemacht, die Paul mir dann auch tatsächlich geschickt hat. Fand ich gut.
Du komponierst und schreibst deine Lieder selbst. Was inspiriert dich, bist du jemand, der nachts aufwacht und Einfälle hat und diese dann direkt auf einen Zettel neben dem Bett notiert?
Das kommt vor. Ich habe hier im Studio Schubladen, die voll mit Blöcken sind. Die sind vollgeschrieben mit irgendwelchen Zeilen, von denen ich irgendwann mal dachte, daraus könnte man etwas machen. Aber oftmals ist es so, dass wenn ich mir das dann Wochen später angucke, ich mich frage, wo das herkommt und was ich daran bemerkenswert fand. Ich nenne das Situationskreativität. In dem Moment fand ich das klasse, aber am nächsten Tag frage ich mich, was das soll. Aber wenn es für mich an ein neues Album geht, dann hole ich mir diese Blöcke raus und blättere, bis ich irgendwo hängen bleibe.
Stimmt es, dass du „Aloha Heja He“ eigentlich nicht veröffentlichen wolltest?
Wohl wahr. Der Song ist eigentlich ein Überbleibsel aus meiner gemeinsamen Zeit mit meinem damaligen Partner Frank Dostal. Wir hatten zusammen einen Musikverlag und eine Musikproduktion und sind auf die verrückte Idee gekommen, ein paar Songs aufzunehmen und diese unter Pseudo-Bandnamen den Plattenfirmen anzubieten. Das hat ganz oft funktioniert und war damals für uns eine willkommene Art Vorschuss. Ich fand irgendwann die kleine Tonbandspule mit dem Demo von „Aloha Heja He“ wieder, die übrig geblieben war. Es existierte noch kein Text dazu. Da habe ich gedacht: Das ist ja eigentlich eine ganz schöne Melodie, mach doch mal einen Text. Beim Schreiben habe ich mir Gott sei Dank nicht übermäßig einen Kopf gemacht. Wenn ich das gemacht hätte, dann hätte ich das Wort Gonokokken rausgestrichen und auch garantiert Matrosen am Mast draußen gelassen (lacht).
Ist das G-Wort heute noch ein Problem?
Es ist total verrückt, aber ich habe vor einiger Zeit ein Interview beim NDR in Hannover gegeben und da erzählte mir der Moderator, dass „Aloha Heja He“ auch nach 30 Jahren immer noch der meistgewünschte Song der Hörer wäre. Aber es gibt auch welche, die anrufen und sich beschweren: „Gonokokken, das ist so eine Ferkelei und so etwas senden Sie!“
Und in China startete der Song 2021 plötzlich durch und war unter anderem Platz eins bei der Musikerkennungs-App Shazam …
Ich kann es selbst kaum glauben, dass ein deutschsprachiger Song in China so durch die Decke geht. Allein bei Spotify hat der Song 30 Millionen Aufrufe und wenn man dann noch YouTube und alle anderen Streaming-Portale dazu rechnet, kommen wir auf über eine Milliarde Streams. Laut meiner Plattenfirma soll ich demnächst einen Award dafür erhalten. Seitdem bekomme ich auch Fanpost aus China. Das muss man sich mal vorstellen.
2020 ist deine Autobiografie „Ich hab das Paradies gesehen“ erschienen. Stimmt es, dass du das Buch als einziger Passagier auf einem Containerschiff, ausgerüstet mit ausreichend Zigaretten und Wodka, vollendet hast?
Ja, so war das. Ich war drei Wochen unterwegs und danach noch zehn Tage in Namibia in einem Hotel direkt am Atlantik. Das war traumhaft. Ich habe dort das Buch zu Ende geschrieben. Die Biografie zu verfassen hat mehr als fünf Jahre gedauert. Immer wenn zwischendurch musikmäßig nichts anstand, habe ich mich an meinen Schreibtisch gesetzt und mal wieder eine Episode aus meinem Leben aufgeschrieben. Und irgendwann hatte ich so viel, dass ich dachte: Junge, jetzt musst du das aber auch zu Ende bringen. Das Tolle bei einer Biografie ist ja, dass man nichts erfinden muss. Man muss nur die richtigen Worte für das wählen, was man erlebt hat.
Wann und wo?
Gemeinsam mit seiner Band gastiert Achim Reichel im Rahmen seiner „Jetzt oder nie“-Tournee am Montag, 27. Februar, ab 20 Uhr im Metropol Theater.
Karten für das Konzert gibt es online bei Nordwest Ticket.