Wie viel Eiweiß ist gesund?
Was ist dran am High-Protein-Trend?
Dr. Götz Dimanski und Jana Holm im Gespräch: Der Sportmediziner und die Ernährungsberaterin vom RehaZentrum Bremen geben Empfehlungen.
Wer leistungsfähig, gesund und in Form sein will, achtet neben genügend Bewegung in der Regel auch auf eine ausgewogene Ernährung. Als Energielieferant und Baustein für Muskelzellen genießt Protein derzeit in der öffentlichen Wahrnehmung ein besonders gutes Image und wird Fetten sowie Kohlenhydraten vorgezogen. High-Protein-Diäten liegen voll im Trend und sportlich Aktive greifen vermehrt zu eiweißreichen Shakes und Power-Riegeln. Doch tragen diese Nahrungsergänzungsmittel tatsächlich zum Aufbau von Muskelmasse bei? Und wie viel Protein ist gesund? Wir haben bei Sportmediziner Dr. Götz Dimanski und Ernährungsberaterin Jana Holm vom RehaZentrum Bremen nachgefragt.
Frau Holm, bitte erklären Sie, welche Rolle Proteine in der Ernährung spielen.
Jana Holm: Grundsätzliche sind Proteine am Aufbau von Gewebe beteiligt, insbesondere am Aufbau von Muskelzellen. Daher kommt der Gedanke, dass Protein Sporttreibenden hilft, um Muskeln aufzubauen. Man darf aber nicht vergessen, dass auch die Kohlenhydrate eine große Rolle dabei spielen. Der Trend „weniger Kohlenhydrate, mehr Protein“ ist den Diät-Trends geschuldet, um Kalorien einzusparen.
Eiweißreiche Kost ist also eine Art Modeerscheinung, die dazu dienen soll, das Körpergewicht zu reduzieren?
Holm: Ja. In den meisten Diäten werden entweder die Fette oder die Kohlenhydrate, verteufelt und als vermeintliche Dickmacher verunglimpft. In beiden Fällen steigt meistens der Proteinanteil in der Nahrung – aus einem einfachen Grund. Wer umstellt auf wenig Kohlenhydrate und mehr Protein, wird zu Beginn der Diät trotzdem satt. Dieser Effekt ist aber nicht dauerhaft, da der Körper sich nach einer gewissen Zeit umstellt.
Welchen Kalorienwert haben denn Eiweiß, Kohlenhydrate und Fett?
Holm: Protein und Kohlenhydrate liefern gleichermaßen pro ein Gramm 4,1 Kalorien. Fett liefert mit 9,3 Kalorien pro ein Gramm deutlich mehr und daher kommt der Diät-Trend, Kalorien beim reduzierten Fettkonsum einzusparen.
Ist es für Sportler sinnvoll, die Nährwerte und Kalorien in der Nahrung ganz genau im Blick zu haben?
Götz Dimanski: Die Eingangsfrage sollte immer sein, warum mache ich Sport, mit welcher Motivation? Um mich fit zu halten? Um abzunehmen? Aus ästhetischen Gründen? Oder genieße ich den gesellschaftlichen Aspekt, zum Beispiel im Vereinswesen? Möchte ich Risikofaktoren wie Übergewicht minimieren, habe ich Leistungsziele oder möchte ich meinen Body stylen? Im letzteren Fall spielt die Ernährung eine größere Rolle. Danach richtet sich dann die Ernährung. Ein Ausdauerathlet braucht in der Regel ein Plus an Kohlenhydraten, während ein Kraftathlet vermehrt Protein benötigt.
Holm: Wichtig ist für alle Interessengruppen eine ausgewogene Ernährung. Der Körper braucht alle Nahrungsbausteine und somit ist es nicht ratsam, Fette oder Kohlenhydrate allzu stark zu reduzieren oder gar aus dem Ernährungsplan zu verbannen. Wer Kohlenhydrate stark reduziert, bekommt oft zusätzlich schlechte Laune. Fette sind wichtiger Bestandteil von Zellen und beteiligt am Aufbau von Hormonen, also ebenso unverzichtbar für die Vitalfunktionen des Körpers.
Wie viel Protein braucht der Körper durchschnittlich sportlicher Menschen?
Holm: Wer unter 2,5 Stunden pro Woche Sport betreibt, braucht laut Deutscher Gesellschaft für Ernährung 0,8 Gramm Protein pro Kilogramm Körpergewicht am Tag. Das ist die grundsätzliche Empfehlung. Sie gilt auch für Menschen, die zwischen 2,5 bis 5 Stunden pro Woche Sport treiben. Erst bei mehr als 5 Stunden wöchentlich erhöht sich der empfohlene Konsum auf 1,2 bis 2 Gramm Eiweiß täglich.
Gilt das auch für Menschen mit Übergewicht, die abnehmen wollen?
Holm: Nein. In dem Fall orientiert sich der Proteinbedarf am Idealgewicht beziehungsweise am Wunschgewicht.
Wie sieht das in der Praxis aus?
Dimanski: Diese Ernährungsempfehlungen für Eiweiß sind immer als Richtwert zu verstehen, den genau einzuhalten quasi unmöglich ist. Selbst wenn ich jede Mahlzeit abwiege und Nahrungsergänzungsmittel verwende, ist der exakte Proteingehalt kaum feststellbar. Überdies ist jeder Körper anders und benötigt verschiedene Mengen an Nahrungsbausteinen, die zudem unterschiedlich verstoffwechselt werden. Ich kann nur allen raten, auf die Signale des Körpers zu hören und zu möglichst unverarbeiteten Lebensmitteln zu greifen. So vermeidet man Missverhältnisse und Mängel, die zu erstzunehmenden Störungen führen können.
Welche Signale sendet der Körper?
Dimanski: Ganz deutlich bemerken wir etwa Hunger auf etwas Süßes und Durst auf frisches Wasser.
Gilt das auch für Proteine?
Holm: Bei Kindern ja, bei Erwachsenen ist es eher die Gewohnheit. Fleischhunger ist oft erlernt und der Eiweißbedarf kann auch über pflanzliche Quellen gedeckt werden. Dies machen auch schon einige Athleten erfolgreich vor.
Welche Eiweißquellen sind generell zu bevorzugen?
Dimanski: Ich empfehle grundsätzlich die natürlichen. Auch hier gilt wieder: Auf den Appetit achten und möglichst abwechslungsreich essen.
Holm: Bekannte Eiweißlieferanten sind tierischen Ursprungs und in Fleisch, Fisch, Milchprodukten sowie Eiern enthalten. Aber auch pflanzliche Nahrungsmittel liefern viel Eiweiß, so zum Beispiel Vollkornprodukte wie Haferflocken, ebenso Hülsenfrüchte und Mandeln. Das wissen viele nicht.
Kann der Körper pflanzliches Protein genauso gut verwerten wie tierisches?
Holm: Es gibt Kombinationen, welche die Aufnahme von Protein begünstigen, etwa Kartoffeln mit Spiegelei. Die Eiweißquellen zu variieren, ist optimal.
Wie sieht es bei Leistungssportlern aus, die Muskelmasse aufbauen wollen? Benötigen sie mehr Eiweiß?
Holm: Das wird so propagiert, ist aber nur bedingt richtig. Ein bisschen mehr Eiweiß über natürliche Lebensmittel zu sich zu nehmen, ist unbedenklich und kann helfen, Muskelmasse zuzunehmen. Keinesfalls gilt aber „Je mehr desto besser“, denn ein Übermaß schadet dem Körper eher.
Dimanski: Ich möchte ergänzend darauf hinweisen, dass nur die Person Muskelmasse zunimmt, die viel trainiert. Erst die erhöhte Beanspruchung der Muskeln provoziert den Sog nach mehr Protein. Wer nicht trainiert und viel Protein konsumiert, wird keine Muskeln zunehmen.
Welche Diät empfehlen Sie, um schlank zu sein und Muskeln aufzubauen?
Holm: Diät halten und Muskelmasse aufbauen – das ist in sich widersprüchlich. Der Körper benötigt immer einen Kalorienüberschuss, um Körpermasse aufzubauen, sonst baut er bei übermäßigem Training sogar Muskeln ab, denn irgendwoher muss der Baustoff ja kommen.
Kann man Eiweiß überdosieren?
Holm: Ja. Ein zu starker Konsum kann zu bleibenden Nierenschäden führen, zu beobachten häufiger bei jungen Männern, die bis zu vier Gramm oder mehr pro Tag und pro Kilo Körpergewicht zu sich genommen haben. Das passiert übrigens viel schneller beim regelmäßigen Verzehr von Nahrungsergänzungsmitteln, da das Protein in Pulvern besonders hoch dosiert ist. Da ist Vorsicht geboten.
Was halten Sie von Proteinshakes, Eiweißriegeln und ähnlichen Produkten aus dem Bereich Sportlernahrung?
Holm: Das Wort selbst sagt es ja schon: Sie können die Nahrung ergänzen. Ein Shake nach dem Training ist okay, solange die übrige Ernährung stimmt. Ein Trugschluss wäre aber zu glauben, dass der Proteinriegel gesünder ist: Er hat meistens ebenso viele Kalorien wie ein Schokoriegel. Die Inhaltsstoffe sind außerdem oft wenig überzeugend und aus ernährungswissenschaftlicher Sicht nicht zwingend gesundheitsförderlich.
Dimanski: Es gilt die Regel: Je weniger verarbeitet die Nahrung ist, desto besser. Es gibt keinerlei wissenschaftliche Belege dafür, dass Nahrungsergänzungsmittel einen positiven Effekt haben. Die Nutzung kann sogar gefährlich sein, da die Mittel keiner einheitlichen Kontrolle unterliegen. Was genau drin ist, weiß man oft nicht. Die Hersteller erzeugen mit diesen Mitteln künstliche Disproportionen, wie etwa ein Übermaß an Protein – damit kann der Körper nicht gut umgehen.
Dr. Götz Dimanski betreute 23 Jahre lang als Mannschaftsarzt Werder Bremens Fußballer, unter anderem während ihrer Teilnahme an Europapokalspielen und der Champions League. Heute führt er die Geschäfte des RehaZentrum Bremen und praktiziert dort als Chefarzt der Abteilung für Sportmedizin und Physiotherapie. Seine Tätigkeitsschwerpunkte sind die nicht-operative Diagnostik sowie die Therapie von Erkrankungen und Verletzungen des Bewegungsapparates.
Ernährungsberaterin und Fitnessökonomin Jana Holm leitet die Abteilung „Aktiv Gesund“ und zählt seit 2020 zum Team am RehaZentrum. Zuvor war sie in der Diabetesberatung tätig. Infos zu den präventiven Bewegungs- und Trainingsprogrammen erteilt sie telefonisch unter 0421 / 80 60 64 36 und per E-Mail an
aktivgesund@rehazentrum-bremen.de