„Die Grundrente wird kein Heilsbringer sein“
Über den neuen Rentenzuschlag und wem er unter welchen Bedingungen zusteht
Im Sommer 2020 hat der Gesetzgeber eine Innovation für das deutsche Rentensystem auf den Weg gebracht: Mit der sogenannten Grundrente sollen demnach all jene einen finanziellen Zuschlag zu ihrer Altersrente erhalten, die viele Jahre gearbeitet, aber dabei unterdurchschnittlich verdient haben. Laut Angaben des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales werden rund 1,3 Millionen Rentnerinnen und Rentner von dem individuellen Zuschlag profitieren. Dr. Magnus Brosig ist Referent für Sozialversicherungs- und Steuerpolitik bei der Arbeitnehmerkammer Bremen. Im Gespräch geht er genauer auf das Konzept der Grundrente ein, erläutert, wem sie zusteht, und macht zugleich deutlich, warum sie kein Allheilmittel gegen Altersarmut ist.
Herr Brosig, der Begriff Grundrente lässt eine Absicherung vermuten, die nicht an viele Bedingungen geknüpft ist. Ist das inhaltlich richtig?
Nein, daher empfinde ich auch den Begriff als schwierig, da er objektiv einfach irreführend ist. Das Problem besteht darin, dass eine Grundrente im klassischen Verständnis eine Leistung ist, die alle Wohnbürgerinnen und -bürger in einheitlicher Höhe erhalten. In Holland gibt es beispielsweise so ein System mit einer einheitlichen Grundrente, welches auf die Möglichkeit von Teilhabe zielt. In Deutschland ist der Ansatz ein anderer, denn unsere Rente basiert auf der Verdienstfrage, also der zuvor erbrachten Arbeitsleistung. Ich denke, dass viele Bürgerinnen und Bürger mit der neuen Grundrente eine Leistung wie im holländischen Beispiel vermuten, nämlich ein Grundmaß an finanzieller Absicherung, unabhängig von ihrer vorherigen Leistung und sonstigen Bedingungen. Das ist jedoch nicht der Anspruch der deutschen Grundrente, das wird vermutlich zu vielen Enttäuschungen führen.
Was verbirgt sich wirklich hinter der Grundrente?
Die ursprüngliche Idee der Grundrente sah vor, sowohl gegen Altersarmut vorzugehen als auch die Lebensleistung von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern anzuerkennen, die besonders lange gearbeitet haben. Schlussendlich hat sich in der Reform aber eindeutig der zweite Punkt durchgesetzt. Die Grundrente richtet sich folglich an Menschen, die über viele Jahre zu einem relativ niedrigen Lohn gearbeitet haben und in der deutschen Rentenlogik sozusagen als „unverdient Altersarme“ gelten. Sie sollen nun spezielle Rentenzuschläge erhalten.
Sind diese Zuschüsse, die in Form der Grundrente gezahlt werden, einheitlich?
Nein, es gibt weder einheitliche Zuschläge noch einen Mindestwert. Stattdessen wurde ein Mechanismus entwickelt, um in jedem Einzelfall einen spezifischen Zuschlag zu berechnen. Im Maximum erhalten Berechtigte demnach etwa 440 Euro brutto, was jedoch nur ein Bruchteil der Berechtigten erreichen wird. Aktuell rechnet man eher damit, dass sich die meisten Zuzahlungen im Bereich zwischen 70 und 80 Euro bewegen. Es wird auch Menschen geben, die gerade einmal zehn Euro Rentenaufschlag erhalten werden, was wirklich nur ein Tropfen auf dem heißen Stein ist. Ein gewisses Mehr ist natürlich immer positiv und niemand wird sich durch die Grundrente verschlechtern. Fakt ist jedoch, es ist nicht der Riesendurchbruch bei der Rente.
Welche Kriterien müssen Rentnerinnen und Rentner erfüllen, um von der Grundrente zu profitieren?
Um einen Anspruch auf die Grundrente zu haben, müssen Rentnerinnen und Rentner 35 Jahre beschäftigt oder selbstständig gewesen sein, sofern sie pflichtversichert sind. Zudem werden auch Kindererziehungszeiten angerechnet und Phasen mit Lohnersatz wie Krankengeld- und Kurzarbeitergeld. Nicht angerechnet werden dagegen Zeiten, in denen Arbeitslosengeld oder Hartz 4 bezogen wurde. Hinzu kommen Sonderregelungen für entsprechende Zeiten im EU-Ausland, die ebenfalls angerechnet werden. Problematisch ist das natürlich für Menschen mit Migrationshintergrund, die in Ländern gearbeitet haben, die keine EU-Mitglieder sind und mit denen Deutschland auch kein Sozialversicherungsabkommen hat. Wichtig: Die Grundrentenzeiten können nicht mit freiwilligen Beitragszahlungen geleistet werden. Auch Zeiten der Allgemeinbildung, also Schule und Uni, zählen nicht, berufliche Bildung dagegen schon.
Welche Rolle spielt das Einkommen?
Das spielt eine Rolle in Form sogenannter Bewertungszeiten. Grundrente ist dann möglich, wenn jemand die geforderten 35 Jahre gearbeitet und dabei mindestens 30 Prozent des durchschnittlichen Einkommens in der Rentenversicherung verdient hat. Diese Einkommensschwelle liegt derzeit etwa bei etwa 1.000 Euro brutto monatlich. Das bedeutet zum Beispiel, Verdienste auf Minijob-Basis fallen auch bei Beitragszahlungen raus und werden für die Grundrente nicht angerechnet. Die verbleibenden Monate können dann in einem aufwendigen Verfahren mit der Grundrente aufgestockt werden.
Inwieweit ist die Grenze von 35 Jahren in Stein gemeißelt?
Der Gesetzgeber hat als Sonderregelung eine Übergangszone zwischen 33 und 35 Jahren geschaffen, in der der Grundrentenzuschlag in der Höhe gestaffelt ausgezahlt wird. Die Voraussetzungen dafür sind ebenfalls komplex.
Gibt es noch weitere Faktoren, die den Grundrentenanspruch oder seine Höhe beeinflussen?
Ja, auch weitere Einkommen sowie die eines möglichen Ehepartners sind relevant und werden angerechnet. Das hat zur Folge, dass die Grundrente eventuell gar nicht oder nur in Teilen ausgezahlt wird. Das ist für das deutsche Rentensystem ziemlich ungewöhnlich, da die gesetzliche Rente eigentlich dem Leistungsgedanken folgt und nicht geprüft wird, ob Personen sie grundsätzlich überhaupt benötigen. Mit der Grundrente wird nun auch die Frage des Brauchens eingeführt. Verfügt eine eventuell berechtigte Person über eine zusätzliche Betriebsrente? Gibt es einen Ehepartner, der über ein so hohes Einkommen verfügt, dass die Familie die Grundrente theoretisch nicht benötigt? Diese Dinge werden ebenfalls als Kriterien herangezogen.
Das klingt alles ziemlich umfangreich und kompliziert …
In der Tat, es ist ein hochkomplexes System. Es ist aber auch nicht darauf ausgelegt, dass alle es in seiner Tiefe durchdringen und sich zu Hause eigenständig die Rente ausrechnen können.
Wie meinen Sie das?
Die Deutsche Rentenversicherung berechnet eigenständig den potenziellen Aufschlag und berücksichtigt dabei auch Einkommensdaten vom Finanzamt. Eine Antragstellung ist also weder nötig noch möglich, was auch aus einem weiteren Grund positiv zu bewerten ist: Wer Sozialhilfeleistungen beantragt, muss viele Dinge offenlegen. Das ist für viele Menschen auch mit Scham behaftet. Beim Grundrentenzuschlag ist das nicht der Fall, die Rentenversicherung überprüft den Anspruch automatisch.
Ist einzuschätzen, inwieweit die Grundrente in Bremen ihren Zweck erfüllen wird?
In Zahlen lässt sich das leider noch nicht festmachen, allerdings lassen sich durch den Strukturwandel einige Dinge zusammenreimen. Früher war Bremen eines der wirtschaftlich stärksten Bundesländer mit einem brummenden Arbeitsmarkt. Das ist auch heute noch in den Renten ersichtlich, die bis vor einigen Jahrzehnten noch überdurchschnittlich hoch waren. Mittlerweile liegen die Renten im Land Bremen im Bundesvergleich unter dem Durchschnitt. Schaut man sich an, wie die Bremerinnen und Bremer auf dem heutigen Arbeitsmarkt dastehen, gibt es viele Menschen, die zwar im Niedriglohnsektor tätig sind oder tätig waren und aus dieser Perspektive eigentlich eine Grundrente bekommen müssten. Die besagten 35 Jahre werden jedoch viele nicht erreichen, weil Phasen der Arbeitslosigkeit eben nicht zeitlich angerechnet werden. Die Grundrente kann schon deshalb kein Heilsbringer sein. Und ich befürchte, dass sie an vielen Menschen, die darauf hoffen, vorbeigehen wird.