
Benjamin von Stuckrad-Barre im Interview zum neuen Buch und Auftritt in Bremen
„Als ich ,Bremen‘ sagte, änderte das alles.“
Mit ihrem neuen Gesprächsband „Kein Grund, gleich so rumzuschreien“ kommen die Autoren Martin Suter und Benjamin von Stuckrad-Barre im Februar live nach Bremen in die Glocke. Suters Romane „Melody“ und „Der letzte Weynfeldt“ feiern international Erfolge, während der gebürtige Bremer Benjamin von Stuckrad-Barre für seine Bestseller „Soloalbum“, „Panikherz“ und „Noch wach?“ gefeiert wurde. 2020 veröffentlichten die beiden Literaten ihren gemeinsamen Bestseller „Alle sind so ernst geworden“ – und legen nun nach. Die Themen sind vielfältig: Blumen, Camping, Albträume, Eitelkeit, Rasenmähroboter und Liebe. Im Gespräch verrät von Stuckrad-Barre, warum Freundschaften Diskussionen aushalten sollten, er auf der Bühne eine Rolle einnimmt und wer dafür sorgte, dass er sich noch immer als Bremer bezeichnet.
Wie kam es zur erneuten Zusammenarbeit mit Martin Suter?
Wir haben einfach weitergesprochen (lacht). Gleich am Tag unseres Kennenlernens vor acht Jahren haben wir damit begonnen, ausführliche Gespräche zu führen, mitzuschneiden und später dann zu bearbeiten. Vor gut vier Jahren entstand daraus unser erster gemeinsamer Gesprächsband. Danach gingen das Leben, unsere Freundschaft und auch diese Gespräche weiter und die gemeinsame Ausarbeitung davon. Diese Zusammenarbeit ist für uns beide eine schöne Abwechslung zwischen Romanprojekten, für die man sich gezielt in die Einsamkeit begibt. Es macht mitunter einfach Freude, zu kooperieren. Das öffnet den Blick und auch das Denken.
Sie nehmen Ihre gemeinsamen Gespräche immer auf?
Natürlich nehmen wir nicht jedes Wort auf, das wir miteinander wechseln. Allerdings kommt es häufig vor, dass wir miteinander plaudern, beispielsweise am Telefon, und dann einer von uns seufzt: „Ach wie schade, dass wir das jetzt nicht aufgenommen haben‘.“ Martin und mich eint die Freude an Produktivität. Je mehr gelungenen Text man dem eigenen Leben abtrotzen kann, umso besser. Für diese Gespräche, aus denen dann etwa alle vier Jahre so ein Buch wird, setzen wir uns aber gezielt hin, meistens am späten Vormittag. Alle Telefone aus, alle Türen zu, auf Aufnahme drücken – und los.

Verhalten Sie sich anders, wenn die Aufnahme läuft?
Interessant finde ich dabei immer wieder, dass in dieser bewussten Aufnahmesituation unser Reden und Denken eben nicht vorsichtiger wird, abgewogener oder weniger riskant. Nein, ganz im Gegenteil, da öffnen wir erst alle Schleusen, es ist eine Art Bühne, ein Kunstraum, da geht dann eigentlich alles. So ein Gespräch dauert zumeist eineinhalb bis zwei Stunden, alle paar Wochen treffen wir uns für ein paar Tage und nehmen drei oder vier davon auf. Diese werden dann transkribiert und erst einmal zur Seite gelegt. Die eigentliche Arbeit beginnt viel später, nämlich dann, wenn wir beide das Gefühl haben, dass wieder ein Zyklus zu seinem Ende gelangt ist, den diese neuen Gespräche abbilden. Dann beginnt die Überarbeitung. Ein monatelanges Mail-Pingpong: wegschmeißen, umschreiben, neuschreiben. Herrlich.
Haben Sie bei Ihren gemeinsamen Auftritten ein Konzept?
Mindestens eins, na klar. Und nicht immer beide zugleich dasselbe, da wird es dann besonders interessant (lacht). Wir haben eine Partitur, die sich mit jedem Auftritt verfeinert. Die Buchkapitel werden auf Liveversionen zusammengestrichen, das ist ein Vorgang, den man nicht simulieren kann, man muss sich das Abend für Abend immer weiter erarbeiten. Und so lernt man auf einer solchen Tournee das eigene Buch selbst nochmal neu kennen. Wir ändern das Programm jeden Abend etwas ab, damit wir selbst aufmerksam bleiben. Da tun ein paar Stolpersteine und neue Risiken immer gut. Neue Fehler machen – denn erst im Umgang mit diesen Fehlern entsteht die Unmittelbarkeit, die solche Auftritte ausmacht.
Ist es auf der Bühne schwerer, sich frei zu unterhalten?
Nichts auf der Bühne darf schwer sein, genau das ist ja, wenn man so will, das Schwierige daran. Glücklicherweise aber haben Martin und ich bei unseren gemeinsamen Auftritten festgestellt, dass wir mit Betreten einer Bühne automatisch Rollen einnehmen, indem wir die auffälligsten Unterschiede zwischen uns beiden und auch die Klischees, die uns anhaften, noch extra betonen. Wir treten dann jeweils als eine übersteigerte Version unserer selbst auf. Das dient der Komik. Das seltsame Paar, das ist immer gut. Da wir jetzt so darüber sprechen, fällt es mir auf: Am liebsten würde ich gleich heute Abend schon mit Martin auf einer Bühne sein. Die gehört erstaunlicherweise zu den wenigen Orten, an denen ich völlig angstfrei bin und mich generell sehr frei fühle. Nur das Leben zwischen den Auftritten ist immer so lästig (lacht).

Wie wichtig ist es Ihnen, über Themen auch mal zu streiten?
Ich streite sehr ungern und kann Streit kaum aushalten, bin sehr schlecht darin. In meiner Kindheit sind Streitigkeiten bei uns zu Hause regelmäßig völlig ausgeartet in riesiges Geschrei und absolutes Chaos. Als Kind nimmt man das alles verstärkt wahr, lauter und gewaltiger, man kann es nicht einordnen. Da stürzt jedes Mal die ganze Welt für einen ein. Grauenhaft. Deshalb zucke ich bis heute schon bei minimal verhärteten Tonfällen und etwas lauter vorgetragenen Argumenten zusammen. Mein Körper aktiviert dann sofort ein Notprogramm, sucht Verbündete, sondiert die Fluchtwege.
Fällt es Ihnen leichter, in Freundschaften zu diskutieren?
Ja, das macht tiefe Freundschaft für mich eigentlich aus, dass man verschiedener Meinung sein kann und dass der Dissens nicht immer gleich das ganze Fundament erschüttert. Mit Martin zum Beispiel geht das sehr gut. Und in unseren Gesprächen, die wir dann für das Buch ausarbeiten, ist es ja schon dramaturgisch vonnöten, unterschiedlich zu argumentieren, uneins zu sein.
Hilft Ihnen dabei also der Beruf des Schriftstellers?
Absolut. Im Schutzraum Literatur geht sowieso alles. Und wer den Zweifel nicht sowieso immer schon mitdenkt und gegen sich selbst andenkt, kann es gleich bleiben lassen, das ist dann nichts wert. Schreiben bedeutet ständigen Perspektivwechsel, man trainiert also permanent, alles auch ganz anders sehen zu können. In der
Literatur, überhaupt in der Kunst, hat Moral nichts zu suchen. Man muss auch Facetten an Figuren oder einem selbst, die nicht so edel sind, erkennen und benennen. Sonst ist es unwahrhaftig und uninteressant, im Grunde Kasperletheater, alles schön eindeutig: Polizist gegen Krokodil. Die Guten aber werden ohne Abgründe ebenso wenig wahr wie die Bösen ganz ohne sympathische Wesenszüge. Da haben Suter und ich eine ähnliche Auffassung von Literatur und, ehrlich gesagt, auch vom Leben.
Sie sind gebürtiger Bremer. Haben Sie noch Erinnerungen an unsere Hansestadt?
Ich verbinde eine Menge mit Bremen, vor allem Freunde. Ich habe die ersten paar Jahre meines Lebens in Brinkum gewohnt. Vage Erinnerungsbilder an einen Spielzeugladen an der Hauptstraße tauchen jetzt spontan auf. Und die Musterung des Kachelfußbodens in der Küche der Küsterin. Mein Vater war dort Pastor. Und dann sind es lange Freundschaften zu Bremen-Ultras wie Sven Regener und Arnd Zeigler. Auch an Jan Delay kann ich kaum denken, ohne Werder Bremen mitzudenken, das ist also immer gleich doppelte Freude. Nach dem Abitur war ich nochmal für ein paar Wochen in Bremen und habe dort Praktika gemacht. Schöne und auch prägende Wochen.
Sehen Sie sich heute als Bremer?
Vor allem, wenn ich Sven Regener treffe, seine Bücher lese oder seine Musik höre. Mit Anfang 20 lernte ich ihn kennen, ich hatte gerade einen Job bei einer Plattenfirma angetreten und sollte fortan dort für Svens Band Element of Crime zuständig sein. Bei meinem Antrittsbesuch im Berliner Tonstudio hat er es mir zunächst nicht gerade leicht gemacht. Regener, natürlich mit einem Becks in der Hand, beäugte und testete mich äußerst kritisch, was auch angemessen war, denn ich war ja noch sehr jung. Es lief zunächst nicht gut zwischen uns, bis er mich schließlich fragte, woher ich käme, wo ich geboren sei. Als ich dann ‚Bremen‘ sagte, änderte das alles.
Wurden Sie schließlich von ihm als Bremer akzeptiert?
Offenbar, ja. Wir haben dann sehr gut zusammengearbeitet, sind bis heute wirklich gut befreundet. Der Highway zu Regeners Herz ist für Bremer besser ausgeleuchtet, man findet dann einfach leichter und schneller ans Ziel.
Das Interview führte Max Stascheit.
Freitag, 21. Februar, 20 Uhr, Glocke