Willst Du mit mir geh’n?
In diesem Monat widmet sich unser Kolumnist Dirk Böhling der Veränderung von Dating und wie zu seiner Zeit das Kennenlernen ablief.
Wie oft hört man heutzutage auf die Frage: „Wo habt ihr euch denn kennengelernt?“ eine Antwort wie: „Im Netz“, „Auf einer Dating-App“ oder beim „Parshippen – und das ganz ohne Schnee!“. Bei den antwortenden Personen handelt es sich – wenn man von Babyboomern ausgeht – meist nicht um die erste Beziehung, sondern um eine zweite Runde oder Kennenlernen für Fortgeschrittene. Da sitzt man ganz bequem vor dem Bildschirm und schaut sich sie oder ihn an, gleicht Hobbys und Interessen ab, überprüft No-Gos und entscheidet sich für oder gegen eine Kontaktaufnahme.
Nie war der Erstkontakt so einfach und effektiv wie heute, denn bei Nichtgefallen war das Gegenüber auf Sätze wie „Nee, das lassen wir mal“, „Das hatte ich mir anders vorgestellt“ oder ganz freundlich „Ich melde mich dann, okay?“ nicht nur gefasst, sondern hatte sie auch selbst vorbereitet und keiner war dem oder der anderen böse. Bei einer beruflichen Bewerbung würde das in die Kategorie: „Rufen Sie uns nicht an, wir rufen Sie auch nicht an!“ gehören. Wie mühsam und unbeholfen fanden dagegen viele Annäherungsversuche der jungen Baby Boomer statt, als man den idealen Treffpunkt für erfolgreiche „Matchings“, wie sie heute heißen, noch Dorffete, Schützenfest oder Tanzschule nannte, oder ich in der Disco stundenlang an einem Getränk festhielt und darauf wartete, dass „Sie“ oder „Er“ im Vorbeigehen durch ein Lächeln Interesse signalisierte, auf das man dann prompt mit einem total einfallsreichen Satz reagieren konnte: „Na, auch hier?“.
Was dann folgte, war meist vorsichtiges Kennenlernen auf und neben der Tanzfläche, und wenn es gut lief, hatte man am Ende des Abends eine Telefonnummer oder sogar die Folgeverabredung in der Tasche, zu der man dann vor lauter Aufregung mit drei Kilo Apfelshampoo im Haar 20 Minuten zu früh auftauchte.
Die Liste der kreativsten Anbahnungsideen aller Zeiten führt zweifellos ein anderer Satz an, der sich auf ewig in das kollektive Beziehungsgedächtnis der Baby-Boomer eingebrannt hat. Eine nicht selten folgenschwere Frage, die für immer in diverse Holzpfosten auf Bolzplätzen und Sandkisten geschnitzt war, verschämt durch das Wählscheibentelefon der Eltern gestottert wurde oder auf zusammengefalteten Zetteln ihren Weg quer durch Klassenzimmer fand und dabei die möglichen Antworten gleich mitlieferte. Wer hat diesen Satz nicht schon einmal gelesen, geschrieben oder beides, und wer wurde damit nicht, lange bevor man zum ersten Mal in einer Wahlkabine betrat, aufgerufen, sein Kreuzchen zu machen: „Willst Du mit mir geh’n? – Ja, nein, vielleicht“. Was auf der Seite der Adressaten die Entscheidung über Tränen der Enttäuschung oder aber höchste Glückseligkeit bedeutete, war für die Absender die schlecht auszuhaltende Spannung, wie das Leben mit oder ohne die große Liebe weitergehen sollte! Jedenfalls so lange, bis die nächste Anfrage dieser Art kam oder abgeschickt wurde. Also war es eigentlich doch gar nicht so anders im Vergleich zu den Dating-Apps von heute – nur ohne ankreuzen.