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Dirk Böhling, Foto: FR
#Kolumne – Baby Boomer Böhling
27. Juli 2024

Wer die Wahl hat …

Babyboomer Dirk Böhling erinnert sich an die Politikköpfe seine Kindheit und Jugend

An meinem zweiten Geburtstag ist Ludwig Ehrhard als Bundeskanzler zurückgetreten. Das hat mir damals keiner gesagt und ich vermute, dass es mich auch nicht besonders interessiert hat.

An meinem zweiten Geburtstag ist Ludwig Ehrhard als Bundeskanzler zurückgetreten. Das hat mir damals keiner gesagt und ich vermute, dass es mich auch nicht besonders interessiert hat.

Kurz vor meinem achten Geburtstag fand dann die Bundestagswahl mit der bisher höchsten Beteiligung von mehr als 90 Prozent der Wahlberechtigten statt und Willy Brandt wurde als Kanzler bestätigt. Aber wenn mein Schulkamerad Detlef damals nicht einen „Willy wählen“-Aufkleber an seiner Schultasche gehabt hätte, der ihm von unserem Klassenlehrer mit dem Hinweis: „Wir machen hier keinen Wahlkampf!“ vor der gesammelten Schülerschar abgerissen worden wäre, hätte ich wohl auch daran keinerlei Erinnerung. Politiker waren für mich damals meistens Männer, die sich in Schwarz-Weiß gegenseitig von einem Pult herab anmeckerten, bis ein anderer hinter ihnen mit einer großen Glocke bimmelte. Einige der Herren kannte ich auch: Den Willy natürlich, mit der knarzigen Stimme und diesen anderen mit der Pfeife. Herbert Wehner hieß der, von dem meine Mutter gerne sagte: „Mein Gott, was der wieder hat!“
Als ich zwölf wurde, stand auf den Wahlplakaten „Freiheit statt Sozialismus“. Und als ich meine Mutter fragte, was das denn bedeutet, bekam ich dieselbe Antwort wie vorher bei den Fahndungsplakaten der RAF: „Sowas haben wir hier nicht!“ Die erste Bundestagswahl, die ich bewusst erlebte, fand 1980 statt. Da war Wahlkampf in der Schule übrigens plötzlich gar kein Problem mehr, als nämlich die älteren Schüler „Stoppt Strauß“-Aufkleber auf dem Pausenhof verteilten. Hätte heute auch nur eine Talkshow den Unterhaltungswert der damaligen Diskussionsrunden zwischen Bundeskanzler Helmut Schmidt und seinem Herausforderer Franz-Josef Strauß, würde es Netflix und Co. nicht geben. Dazwischen saß dann auch immer ein etwas gemütlich anmutender Herr mit einem gelben Pullunder – der gefühlt in jeder Regierung seit Einführung des Farbfernsehens mitmischte, egal welcher politischen Couleur. In meiner Schulzeit wurde das „Genschern“ damals deshalb zum geflügelten Wort für einen Strategiewechsel beim Kartenspiel!

Zwei Jahre später krachte es in der politischen Landschaft der BRD und danach war für sechzehn Jahre Ruhe in Bonn. Gut, es kamen andere Gesichter und auch neue und meist selbst gestrickte Pullover ins Parlament. Politiker wie Heiner Geissler mischten Talkshows auf und Minister wie Norbert „Die Renten sind sischer“-Blüm, avancierten bei Rudi Carrell zu Popstars – mit spannenden Wahlkämpfen inklusive unerwarteten Ergebnissen war aber fürs Erste Schluss.
Mitte der 80er ging übrigens im Bremer Parlament eine Ära zu Ende, denn niemals wieder hat ein Bürgermeister der Freien Hansestadt das Wort „Sozialdemokratischeparteideutschlands“ – das eigentlich aus drei Worten besteht – so schnell aufgesagt wie der damals scheidende Hans Koschnick. Wahrscheinlich können fast alle an dieser Stelle eine Anekdote des politischen Personals aus Bund und Ländern beisteuern, schließlich haben sie uns fast ein ganzes Leben lang begleitet.

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