Tante Emma & Onkel Udo
Unser Kolumnist Matthias Höllings erinnert an die Zeiten der Tante-Emma-Läden.
Die Straßenbahn der Linie 10 steuert gerade die Haltestelle in der Daniel-von-Büren-Straße an. Mein Blick aus dem Fenster signalisiert mir rechts die Zukunft in Form einer riesigen Hochhaus-Baustelle. Der Blick nach links führt mich gedanklich direkt in die Vergangenheit. In einem Schaufenster entdecke ich ein altes Reklameschild aus Emaille mit dem Schriftzug „Juno, bitte“ und erinnere mich, als Kind noch nicht gewusst zu haben, dass der dazugehörige Werbespruch der Zigarettenmarke „Aus gutem Grund ist Juno rund“ der Schönheitsgöttin Juno entlehnt war. Ich kam ins Grübeln und verließ die Straßenbahn vorzeitig, weil auf dem Schaufenster ein großer Tante-Emma-Aufkleber meine Neugierde weckte.
Ebenfalls aus gutem Grund, denn in diesem Laden konnte man einkaufen, allerdings nicht ganz so wie früher. Damals konnte man den Betrag anschreiben lassen, statt gleich zu bezahlen. In den 1960er-Jahren war ich oft mit meiner Mutter am Monatsanfang in unseren Edeka-Tante-Emma-Laden gegangen, wenn bei uns wieder Geld auf dem Konto war, um ihre – oder besser gesagt unsere – Schulden zu begleichen. Das machten damals fast alle so. Zu der Zeit gab es noch keine Supermärkte, jedenfalls nicht bei uns auf dem Dorf. Süßigkeiten wurden noch lose in großen Bonbongläsern aufbewahrt und bei Bedarf wie Reis und Mehl mit kleinen Schaufeln in Tüten abgefüllt. Sozusagen ein Spielzeug-Kaufmannsladen in groß.
Neugierig geworden, bewunderte ich von außen in dem Laden vor mir in der Falkenstraße die Auslage und Dekoration im Schaufenster und war begeistert über eine gelb-schwarze Leuchtreklame von Kaffee Jacobs. Auch ein altes graues Tonfass, aus dem man sich früher Düsseldorfer Löwensenf selbst abfüllen konnte, stand dort und war für mich Nostalgie pur, die bereits 1987 Udo Jürgens besang. Nicht in seinem Lied „Aber bitte mit Sahne“ und auch nicht über Löwensenf, sondern tatsächlich in dem Song „Tante Emma“.
Udo trauert dort ebenfalls den alten Zeiten nach und gibt an, dass er in einen Hungerstreik treten will, wenn sein Tante-Emma-Laden von einem Discounter gefressen wird. Er geht sogar noch einen Schritt weiter und textet: „Im endlos großen Supermarkt, da droht mir gleich der Herzinfarkt.“ Starker Tobak, aber unser Udo hat von 1976 noch bis 2014 durchgehalten, ist aber leider bei einem Spaziergang in der Schweiz im Alter von 80 Jahren an Herzversagen gestorben. Ob das vor einem Einkaufscenter passiert ist, kann ich nicht sagen, aber vielleicht erfahren wir am 22. November im Bremer Metropol Theater mehr in „Die Udo-Jürgens-Story“, die mit „Sein Leben, seine Liebe, seine Musik“ beworben wird. Da müsste doch für Onkel Udo auch noch Platz für seine geliebte Tante Emma sein.