
„Sie hatten ein außergewöhnliches Leben“
David Safier im Gespräch über seine Familiengeschichte und die Bühnenadaption von „Solange wir leben“
Es ist die Lebensgeschichte seiner Eltern, die David Safier in seinem Roman „Solange wir leben“ erzählt. Zwei Jahre nach Erscheinen feiert nun eine gleichnamige Bühnenadaption am Theater Bremen Premiere, anlässlich derer wir den Bestsellerautor zum Interview trafen. Darin spricht er von besonderen Begegnungen, die er seit der Veröffentlichung des Romans gemacht hat, von emotionalen Reaktionen der Leserinnen und Leser auf seine Geschichte. Safier spricht über die Motivation, die Geschichte seiner außergewöhnlichen Eltern aufzuschreiben, und die Bedeutung, die Bremen als Spielort für die Uraufführung des Theaterstücks für ihn hat. Er erklärt, wie er trotz anfänglicher Zweifel das Projekt in die Hände des kürzlich verstorbenen Regisseurs Michael Börgerding gelegt hat, und wie es sich anfühlt, in seiner Heimatstadt diese Premiere zu feiern.
Vor fast genau zwei Jahren erschien Ihr Roman. Was ist seitdem passiert?
Seitdem durfte ich viele besondere Erfahrungen machen und spannende Kontakte knüpfen. Die unterschiedlichen Reaktionen haben mich beeindruckt – es war berührend zu sehen, welche Aspekte des Romans Menschen besonders bewegt haben und wo sie Parallelen zu ihren eigenen Familiengeschichten fanden. Ein besonders emotionaler Moment war die Einladung meiner Frau und mir als Ehrengäste zu einem Ball in der Wiener Hofburg. Die Technische Universität Wien, an der mein Vater gearbeitet hatte, bevor ihn die Nationalsozialisten vertrieben, hatte uns eingeladen. Es war berührend zu erleben, wie die Universität sich erneut mit seiner Geschichte auseinandersetzte und sie sichtbar machte. Gedanklich war mein Vater die ganze Zeit dabei.
Wie kam es zu dieser Aufmerksamkeit?
Hauptsächlich durch das Buch. Ich hatte das Glück, dass ich als Bestsellerautor eine gewisse Öffentlichkeit genieße, was Medienberichte, Interviews und Rezensionen ermöglichte. Aber letztlich verkauft sich ein Buch nicht durch Medienpräsenz, sondern durch die Geschichten, die Menschen berühren. Das war auch beim Theaterstück so. Michael Börgerding entschied sich, es auf die Bühne zu bringen, weil ihn die Geschichte emotional gepackt hatte. Ich kann nicht einfach zum Theater gehen und sagen: „Macht daraus ein Stück!“ Es muss aus eigener Überzeugung entstehen.
Gab es eine besondere Reaktion, die Ihnen im Gedächtnis geblieben ist?
Viele Leserinnen und Leser haben mir von den Kriegstraumata ihrer eigenen Familien erzählt. Mein Roman verknüpft die Holocaust-Erfahrungen meines Vaters mit den Kriegserlebnissen meiner Mutter. Manche Leser:innen erkannten ihre eigene Familiengeschichte in sozialen Aspekten wieder, etwa eine Frau, deren Mutter ebenfalls bei Karstadt gelernt hatte. Das Buch thematisiert zudem Pflege, Krebserkrankungen und Liebe – Aspekte, die viele Menschen auf persönlicher Ebene berühren. Auch das Thema Alkoholismus war für einige ein Wiedererkennungsmoment, da mein Vater diesen durch die Liebe meiner Mutter überwinden konnte.

Was hat Sie motiviert, diese Geschichte zu schreiben?
Meine Eltern waren keine Berühmtheiten, aber sie hatten ein außergewöhnliches Leben. Ihr Umgang mit Schicksalsschlägen hat mich tief beeindruckt. Ihre Liebesgeschichte war besonders: Mein Vater, ein mittelloser jüdischer Flüchtling, verliebte sich in meine Mutter, eine junge deutsche Witwe mit einer Tochter. 21 Jahre Altersunterschied und die Rückkehr meines Vaters ins Land der Täter machten diese Beziehung einzigartig. Ich wusste, dass ihre Geschichte nicht nur mich, sondern auch viele andere Menschen berühren würde. Das war meine Motivation.
Haben Sie während des Schreibens neue Informationen über Ihre Familie erhalten?
Leider nicht, da meine engste Familie bereits verstorben ist. Ich habe viel recherchiert, vor allem in Wien und Israel. Ein Rechercheur in Wien hat mir geholfen, historische Dokumente und Fakten zu meinem Vater und seiner Flucht nach Palästina zu sammeln, manche Erlebnisse meines Vaters konnte ich aus historischen Kontexten rekonstruieren.
Hat Ihr Roman einen starken Bezug zu Bremen?
Absolut. Etwa 60 bis 70 Prozent des Bühnenstücks spielen in Bremen. Dass die Uraufführung hier stattfindet, bedeutet mir viel. Ich hatte bislang wenige große Premieren in meiner Heimatstadt, daher ist das ein besonderer Moment für mich. Weitere Premieren werden in Berlin und Barcelona stattfinden, aber Bremen bleibt etwas Besonderes.
Wie involviert waren Sie in die Bühneninszenierung?
Ich erzähle seit 30 Jahren Geschichten in verschiedenen Formaten, von Film über Fernsehen bis zu Romanen. Entweder bringt man sich in ein Projekt stark ein oder man überlässt es anderen. Mir war wichtig, dass ein sensibler, talentierter Mensch meine Geschichte umsetzt. Michael Börgerding trat behutsam an mich heran, und ich spürte, dass sie bei ihm in guten Händen war. Ich habe mir die Proben angesehen, mich aber nicht in kreative Entscheidungen eingemischt. Mir war wichtig, dass meine Eltern authentisch dargestellt werden. Fakten habe ich gegebenenfalls korrigiert, aber die künstlerische Umsetzung habe ich den Machern überlassen.
Fiel es Ihnen leicht, das Projekt aus der Hand zu geben?
Mein erster Impuls war, nein zu sagen. Ich kenne die Herausforderungen solcher Umsetzungen und weiß, wie leicht etwas scheitern kann. Ich habe mich dann aber entschieden, Michael Börgerding zuzuhören und eine Leseprobe des Drehbuchs anzufordern. Die Entscheidung fiel mir nicht leicht, aber meine Frau hat mich in dieser Phase sehr unterstützt. Irgendwann muss man loslassen und vertrauen.
Werden Sie zur Premiere anwesend sein?
Auf jeden Fall.
Das Interview führte Kristina Wiede.
Premiere: Samstag, 1. März, 19 Uhr, Theater am Goetheplatz

David Safier: „Solange wir leben“, 464 Seiten, erschienen im November 2024 im Rowohlt Verlag
Zum Inhalt des Romans
„Solange wir leben“ von David Safier ist die bewegende Lebensgeschichte seiner Eltern Joschi und Waltraut, einfühlsam und packend erzählt. Der Roman führt die Leser:innen von Wien im Jahr 1937 durch die Schrecken der Gestapo-Gefängnisse bis nach Palästina, wo Joschi als Barmann und später als Spion tätig ist, bevor er zur See fährt. Waltraut, aufgewachsen als Tochter eines Werftarbeiters in Bremen, erlebt die Wirren des Krieges, die Trümmerjahre und das Wirtschaftswunder. Als sie dann als junge alleinerziehende Witwe dem 20 Jahre älteren Joschi begegnet, scheinen ihre Welten und Lebensumstände kaum vereinbar zu sein. Ihre Begegnung im Jahr 1961, als Waltraut mit Freundinnen ihren 25. Geburtstag feiert, führt zu einer zarten und bewegenden Liebesgeschichte. Trotz aller Hindernisse wagen sie ein gemeinsames Leben, das von steilen Höhenflügen und dramatischen Schicksalsschlägen geprägt ist.
Zum Autor
David Safier wurde 1966 in Bremen geboren und arbeitet als Schriftsteller und Drehbuchautor. Seine humoristischen Romane, darunter „Mieses Karma“ und „Miss Merkel: Mord in der Uckermark“, wurden millionenfach verkauft. Mit „Solange wir leben“ und „28 Tage lang“ (2014) zeigt der Autor eine andere Seite: Er widmet sich den traumatischen Erlebnissen der Kriegsjahre, die auch seine eigene Familiengeschichte stark geprägt haben.