Robert Förstemann im Interview
Bahnradprofi und Botschafter der SIXDAYS: "Mensch und Material sind am Limit"
Die Leidenschaft für den Sport sieht man ihm schon von Weitem an: Robert Förstemann ist Bahnradprofi durch und durch. Seine Oberschenkel mit je 80 Zentimetern Umfang haben ihm bereits rund 100 internationale Medaillen beschert. Seine Spezialität: der Sprint. Das konnte der Profi im Rahmen der SIXDAYS bereits mehrfach auf der Bremer Bahn unter Beweis stellen. Als diesjähriger Botschafter des Sportevents berichtet der 38-Jährige im Interview von Veränderungen im Bahnradsport, über persönliche Rekorde sowie Rückschläge und verrät, weshalb der Erfolg im Leistungssport häufig eine Prise Verrücktheit voraussetzt.
Herr Förstemann, Sie sind der Botschafter der SIXDAYS 2025. Wofür stehen Sie im Bahnradsport?
Natürlich bin ich für meine kräftigen Oberschenkel bekannt, sie sind sozusagen mein Markenzeichen. Darüber hinaus ist mein Name verbunden mit einer gewissen Konstanz. Ich bin seit über 20 Jahren im Bahnradsport aktiv und habe an die 100 internationale Medaillen gewonnen. Auf mich ist immer Verlass, ob bei Weltmeisterschaften, Europa- oder den Deutschen Meisterschaften: Ich bin überall dabei und breche gerne Bahnrekorde, auch in Bremen bei den
SIXDAYS.
Was ist das Besondere an dieser Veranstaltung?
Die Faszination geht aus von der Verbindung von Sport und Spaß. Dafür steht das Event, und dafür stehe auch ich als Person. Wir haben uns gesucht und gefunden. Bei den SIXDAYS der vergangenen Jahre habe ich keine Mühen gescheut, um den Menschen zu zeigen, wie spektakulär der Bahnradsport sein kann und wie schnell man ein Rad mit eigener Muskelkraft fahren kann. Den Bremer Bahnrekord konnte ich sogar mehrfach brechen.
Sie sind seit über 20 Jahren im Radsport aktiv. Hat sich die Bahnradsportszene verändert?
Sehr sogar. Prinzipiell war und ist das Bahnradfahren ein harter Leistungssport. Die Trainingseinheiten führen uns oft bis ans körperliche Limit und darüber hinaus. In der Vergangenheit waren die bekannten Gesichter geradezu radsportverrückt und die Szene wurde geprägt von ein paar krassen Typen. Jens Fiedler, Michael Hübner und Bruno Risi waren solche Grenzgänger. Das hat sich im Verlauf der letzten Jahre geändert. Heute geht es weniger um Personality, sondern noch mehr um Leistung, um Windschnittigkeit und Materialoptimierung. Es wird jedem Bruchteil einer Sekunde hinterhergejagt.
Beeinflusst das auch das Training?
Ja. Im Vergleich zu früher wird heutzutage weniger die Ausdauer trainiert, sondern gezielt die Leistungsspitzen, also der Schnelligkeitsbereich, der sehr viel kraftintensiver ist. Verkürzt gesagt verhält es sich im Bahnradsport so: Es gewinnt, wer die größten Gänge am schnellsten beschleunigen kann. Das kommt mir zugute, denn mir wurde die Kraftfähigkeit quasi in die Wiege gelegt.
Ihre Oberschenkel messen aktuell je 80 Zentimeter. Wie viel Zeit müssen Sie in das Training investieren, um so fit zu sein?
Das ist sehr unterschiedlich und hängt von den jeweiligen Trainingsphasen ab. Es sind so zwischen sieben und 14 Einheiten pro Woche, das macht etwa 20 bis 30 Stunden, plus Physiotherapie, mentales Training, Dopingkontrollen, Ernährung und Vermarktung. Es ist also ein Rund-um-die-Uhr-Job, ein Lifestyle, den ich durch und durch lebe. Das macht mir einfach Spaß.
Robert Förstemann und die SIXDAYS: Ihr Name steht einerseits für mehrfache Bahnrekorde, andererseits erinnern viele den Sturz im Jahr 2019.
Das war in der Tat ein schwieriger Moment und dieser Rückschlag ist ein ganz spezielles Beispiel. Damals ist mein Vorderrad geplatzt. Die Bremer Bahn misst 166 Meter, es ist die kürzeste Bahn, die ich kenne. Hier herrscht großer Kurvendruck und es besteht keine Chance, selbst kleine Fehler zu korrigieren. Wenn du da zu schnell in die Kurve fährst, zieht es dir förmlich das Rad unter dem Hintern weg. In jenem Jahr war mein Ziel, den Bahnrekord von Jeffrey Hoogland zu knacken, was mir am zweiten Renntag auch gelungen ist. Am dritten Tag wollte ich noch einen oben drauf setzen und noch schneller fahren. In der ersten Kurve bin ich dann mit über 70 Stundenkilometern gestürzt. Das Ergebnis waren zwei gebrochene Rippen, dazu Brüche an Schulter, Schulterblatt, Schlüsselbein, Pneumothorax und ein Schädel-Hirn-Trauma, also das volle Programm.
Wie haben Sie dieses Trauma überwunden?
Als die Anfrage für die nächsten SIXDAYS kam, habe ich tatsächlich zwei Tage überlegt, bevor ich mich für die Traumabewältigung entschieden habe. Als ich dann oben an der Bahn stand dachte ich: „Das überlebst du nicht.“ Es hat mich wahnsinnig viel Überwindung gekostet, zu starten, und die Bahn war durchaus gewöhnungsbedürftig. Aber ich konnte mich nach und nach darauf einlassen und es hat sich gelohnt, am vierten Abend habe ich den Bahnrekord endlich gebrochen. Mein Fazit aus dieser Erfahrung lautet daher: Einfach machen, nur so funktioniert es.
Nur wenige Wochen nach dem Sturz sind Sie im Paracycling durchgestartet. Wie war das möglich?
Uns blieben noch sechs Wochen bis zur Paracycling-WM, wo wir unter den acht besten sein mussten, um im Kader der „Paralympics“ zu landen. Der Druck war also hoch, schnell zu genesen. Nachdem ich in Bremen operiert wurde, saß ich schon zwei Tage später wieder auf dem Ergometer, um mich fit zu halten. Viel Training war wegen des vielen Metalls im Körper unmöglich, aber der siebte Platz reichte für die Qualifikation.
Das klingt verrückt …
Ist es auch, Mensch und Material sind am Limit im Leistungssport.
Wie kriegen Sie zwischen all dem Training und den Wettkämpfen den Kopf frei?
Ich hatte das Glück, mein Hobby zum Beruf zu machen, und habe insgesamt wenig Zeit für andere Aktivitäten. Aber ab und zu steige ich zu Hause in Berlin in mein Boot und heize über den Müggelsee. Dabei kann ich gut abschalten.
Zur Person
Robert Förstemann, Jahrgang 1986, startete bereits im Alter von 15 Jahren im Leistungsradsport durch. Ab 2005 war er Teil der deutschen Bahn-Nationalmannschaft und nahm ab 2006 an allen Bahnrad-Weltmeisterschaften teil. 2010, 2013 und 2016 wurde er dabei Europameister im Teamsprint.
2010 wurde Robert Förstemann gemeinsam mit Maximilian Levy und Stefan Nimke Weltmeister im Teamsprint. Bei den Olympischen Spielen 2012 in London errang er gemeinsam mit Maximilian Levy und René Enders die Bronzemedaille im Teamsprint.
Seit 2019 fährt er für den Deutschen Behindertensportverband als Pilot in Tandemrennen. Bei den Sommer-„Paralympics“ 2024 in Paris belegten Förstemann und der sehbehinderte Thomas Ulbricht Platz drei im Zeitfahren über 1000 Meter und errangen Bronze. Damit ist Förstemann einer der wenigen deutschen Sportler, die sowohl eine olympische als auch eine paralympische Medaille gewonnen haben.