Nachsitzen vorm Fernseher
Diesmal widmet sich unser Kolumnist Dirk Böhling den Veränderungen im Fernsehen und dem Zeitgeist.
Ausgerechnet im Fernsehen – in dem Medium, von dem wir Boomer-Kinder zwischen „Sesamstraße“, „Vorsicht Falle“ und dem „7. Sinn“ doch so viel gelernt haben. Ausgerechnet auf diesen so vertrauten Bildschirmen wird nun vor Sendungen von früher gewarnt. Jawohl! Warnhinweise sind dort zu lesen – vor Wiederholungen von Sendungen, bei denen wir uns einst mit Mama, Papa, Oma und Opa kringelig gelacht haben und die wir danach per Schallplatte auswendig lernten.
Warnhinweise kennen wir sonst zum Beispiel aus der Schule, wenn „frisch gebohnert“ worden war und wir nicht über die Gänge rennen sollten. Oder von Zigarettenschachteln, als die meisten von uns sich das Rauchen schon längst wieder abgewöhnt hatten, und auch schon mal aus dem Fernsehen, wenn die „nachfolgende Sendung für Jugendliche unter 16 Jahren nicht geeignet!“ war – eine bessere Werbung für Filme gab es übrigens nie wieder.
Aber was ist das jetzt? Jetzt wird vor den „Otto-Shows“ der 1970er-Jahre gewarnt, ebenso wie vor Ausgaben von „Schmidteinander“ und „Ekel Alfred“, und zwar, weil dort – Achtung! – diskriminierende Inhalte vorkommen. Um das zu erkennen, haben die Fernsehverantwortlichen Jahrzehnte gebraucht – das hätte ihnen aber wirklich mal einer früher sagen können!
Um zu bemerken, dass unser Fernsehprogramm in Kindertagen nicht immer politisch korrekt war, bedurfte es schon damals weder einer besonderen Feinfühligkeit, noch einer analytischen Betrachtungsweise.
Dass die Macher von „Daktari“ und „Flipper“ nicht immer das Tierwohl im Blick hatten, dass die Darstellung von „Bonanza“-Koch Hop Sing, dem Sarotti-Mohr und Árpád, dem Herren ohne festen Wohnsitz, eher fragwürdig ausfielen und dass Frauen in der Fernsehshow „Klimbim“ immer sehr wenig anhatten, empfand ich schon als Fernsehkonsument in kurzen Hosen irgendwie seltsam – aber ich dachte mir, das gehört wohl so.
Damit das klar ist: Ich finde es wichtig, dass sich eine Gesellschaft weiterentwickelt. Und ich finde es richtig, dass vieles, was man früher sorg- und arglos tat, sagte und dachte, heute neu überlegt und abgewogen wird. Auch finde ich es richtig, dass wir mittlerweile Schokoküsse essen und dass ein Schnitzel mit roter Paprikasoße auch genau so heißt.
Vielleicht ist es also auch gut, darauf hingewiesen zu werden, dass liebgewonnene Blödeleien der TV-Geschichte aus heutiger Sicht hier und da neu zu bewerten sind. Für Teile des aktuellen Fernsehpublikums ist es sicher eine hilfreiche Einschätzung, was die Leute damals so alles nicht überlegt hatten. Und für alle, die schon damals dabei waren, ist es wohl eine Art „Nachsitzen vorm Fernseher“.
Wie auch immer, eines müssen wir schmerzlich zur Kenntnis nehmen: In einer Zeit, in der die meisten Baby-Boomer schon oder schon bald eine sechs als erste Zahl ihrer Altersangabe haben, sehen wir der schockierenden und traurigen Wahrheit – mit Lesebrille – ins Auge: Unsere Jugend war wohl nicht ganz jugendfrei!