Mensch, Mayer!
In seiner aktuellen Kolumne widmet sich Matthias Hölling dem Traditionsbetrieb „Mayer Junior“.
In Ostfriesland kommt es gelegentlich vor, dass man sich bei der Vergabe von Vornamen am Familiennamen orientiert. Harm Harmsen, Jan Jansen oder Peter Petersen sind da keine Seltenheit. Doch es geht noch einfacher, so wie bei der Bremer Kaufmannsfamilie Mayer, in der seit Generationen bis heute alle männlichen Nachkommen Arnold genannt werden. Da ist es dann auch nicht verwunderlich, dass der Familienbetrieb „Mayer Junior“ heißt. 1934 wurde das Unternehmen gegründet, siedelte sich in der Neustadt an und beschäftigt sich seitdem intensiv und erfolgreich immer noch mit dem Thema „Küssen“. Dahinter verbirgt sich nicht etwa eine Partnervermittlung oder eine Datingagentur, sondern eine Bäckerei, in der eine Bremer Spezialität entsteht. Wie zu Großvaters Zeiten fertigen die Mayers bis heute die auch über die Landesgrenzen hinaus bekannten Schokoküsse. Selbstverständlich nach altem, überlieferten geheimen Rezept, dass allerdings nicht wirklich ein Geheimnis ist, denn nur auf die exakte Mischung kommt es an – der Rest ist bekannt.
Die ersten Schokoküsse, die je nach Region mal „Mohrenköpfe“, „Schaumküsse“, im Bayrischen Wald „Süßpropfen“ und in Österreich auch schon mal „Schwedenbomben“ genannt werden, sollen angeblich bereits um 1800 in Dänemark hergestellt worden sein. Später haben dann Konditoreien in Frankreich das nicht wirklich schwierige Rezept nachempfunden. Sie tauften die aus einer schaumigen Eischneemasse auf einer Waffel mit Schokoladenüberzug bestehende Süßigkeit „Tête de nêgre“, was soviel wie „Mohrenkopf“ bedeutet. 1920 begann der erste Arnold Mayer in Bremen bereits mit der Produktion für Deutschland. Da man sich jedoch mit der französischen Bezeichnung in deutschen Landen ein wenig schwer tat, wurde aus der Übersetzung „Mohrenkopf“ die deutsche Produktbezeichnung „Negerkuss“, da man dabei an Schokoschaumküsse dachte. Doch wie kamen dabei die Küsse ins Spiel? Der Schaum ist nichts anderes als Zucker und Eiweiß, so wie man es von der Herstellung der leckeren „Baisers“ kannte. Und dies Wort bedeutet nichts anderes als „küssen“. So wurde aus dem Mohrenkopf der Negerkuss. Damit war dann in den 70er-Jahren langsam Schluss, als der Produktname zunehmend als politisch unkorrekte Bezeichnung angeprangert wurde. Jede rassistische Begrifflichkeit sollte vermieden werden und so wurden aus den Negerküssen erst wieder die Mohrenköpfe und dann die Schokoküsse. Die Bremer Firma „Mayer Junior“ war mittlerweile von der Bremer Neustadt in die Rablinghauser Landstraße, dem neuen „Home of the Schokokuss“ , wie sie es selbst bezeichnen. Das Familenrezept blieb unterdessen gleich: Schaum, Waffel und hochwertige Schokolade mit 70 Prozent Kakaoanteil machen diese Bremer Küsse so einzigartig und unverwechselbar. Eigentlich viel zu schade, um sie für die von Schulkindern so geliebten „Matschbrötchen“ zu verwenden – deren Verkauf im Umfeld von Schulen im Zuge einer Aufklärungskampagne über gesunde Ernährung auch prompt untersagt wurde. Schülerproteste waren die Folge.
Früher wurde der weiße Schaum nach der Herstellung in die Überzugsmasse getaucht, wodurch sich beim Umdrehen eine Art Zipfel auf der Oberseite ausbildete. Die Küsse von „Mayer Junior“ zeichnen sich allerdings durch eine doppelte Schicht Schokolade und eine rundlichere Form aus als andere Produkte dieser Art. Außerdem haben alle Mayers eine kleine Taille und zusätzlich das Firmenlogo auf der Sohle. Und damit sich der warme Schokoladenüberzug nicht mit dem Schaum vermischt, werden die Mayer-Küsse in gemächlichem Tempo über ein fünfzig Meter langes Förderband in einen Kühltunnel transportiert. Hergestellt, verkauft und ausgeliefert werden diese fluffigen Schaumküsse nur in der Stückzahl, in der sie täglich gebraucht werden. Sie sind also immer frisch – und das seit über 100 Jahren. Mensch, Mayer!