„Mein Körper erzählt meine Geschichte“
Zwischen Operation und Doktorarbeit: Mara Maeke tritt im Februar 2021 bei der „Miss-Germany“-Wahl an
Für Mara Maeke ist ihre Erkrankung an Colitis ulcerosa kein Tabuthema. Die 26-Jährige sucht die Öffentlichkeit, um mit Vorurteilen aufzuräumen und zu zeigen: Schönheit ist vielfältig.
Die Wahlbremerin Mara Maeke spricht offen über die bewegten vergangenen Jahre ihres noch jungen Lebens. Vor fünf Jahren bekam sie die Diagnose Colitis ulcerosa, eine Autoimmunerkrankung der Darmschleimhaut. Zahlreiche Operationen später schreibt sie an ihrer Dissertation und nimmt an der „Miss Germany“-Wahl teil. Im Interview spricht die 26-jährige über die Krankheit, Schönheit und ihre Motive dafür, die Narben auf ihrem Körper zu zeigen.
Sie wurden im Dezember vergangenen Jahres zur „Miss Bremen“ gekürt. Wie ist es Ihnen seitdem ergangen?
Mein Leben ist ganz normal weitergegangen. Ich habe mich von meiner Operation erholt, der ich mich kurz vor der Verkündung des Titels unterziehen musste, ich habe Weihnachten gefeiert und bin ins neue Jahr gestartet. Ab dem 4. Januar habe ich meine Arbeit als Doktorandin an der Universität wieder aufgenommen – also lief alles seinen gewohnten Gang. Erst eine Woche später kamen einige Presseanfragen.
Von welchen Seiten kam die Resonanz?
Zunächst haben mir vor allem junge Frauen zum Titel gratuliert, die wie ich an Colitis ulcerosa erkrankt sind und die meinen offenen Umgang damit gut und wichtig finden. Dann haben Vertreter diverser Zeitungen und Fernsehformate Gesprächstermine angefragt. Neben dem ganz normalen Leben im Corona-Lockdown und Homeoffice stehen also derzeit des öfteren Fernsehinterviews auf der Agenda. Thematisch dreht es sich dabei oft um klassische Schönheitsideale, meine Erkrankung und natürlich meine Kandidatur bei der Wahl zur „Miss Germany“ 2021.
Inwiefern verkörpern Sie dazu einen Gegenentwurf?
Schönheit wird üblicherweise mit Gesundheit, mit Aktivsein, Sportlichkeit und einem unversehrten Körper in Verbindung gebracht. Dieses Bild wird zum Beispiel sehr stark in den sozialen Medien präsentiert. Wer mal durch mein Instagram-Profil scrollt, merkt schnell, dass mein Alltag und mein Körper dieses Bild nicht widerspiegeln. Dort zeige ich meine Narben am Bauch, meinen Arbeitsalltag und ein bisschen Privates. Was man dort sieht, bin ich.
Sie sprechen offen über Ihre Erkrankung an Colitis ulcerosa. Wie hat die Krankheit Ihr Leben verändert?
Um das zu erklären, fange ich am besten ganz von vorn an. 2016 hatte ich die ersten Symptome, beim Gang zur Toilette schied ich mehrfach Blut aus. Zunächst dachte ich noch, ich hätte etwas Falsches gegessen. Als sich diese Symptome wiederholt zeigten, wusste ich: Das ist nicht normal. Daraufhin bin ich erstmals zum Arzt gegangen.
Wie ging es dann weiter?
Da der Allgemeinmediziner keinen Rat auf die Symptome wusste, wurde ich für eingehendere Untersuchungen zum Proktologen überwiesen. Als junge Frau mit Anfang 20 von einem deutlich älteren Herrn den Darm untersuchen zu lassen, war extrem unangenehm und ich habe mich total geschämt. Mein Schamgefühl musste ich überwinden und der Arzt hat tatsächlich eine Entzündung des Dickdarms festgestellt. Daraufhin schickte er mich zum Gastroenterologen, einem Spezialisten für Erkrankungen des Magen-Darm-Trakts.
Konnte man Ihnen dort helfen?
Es wurde zunächst eine Darmspiegelung angeordnet, auf die ich jedoch gut drei Monate lang warten musste, weil vorher kein Termin frei war. Das entwickelte sich zu einem riesigen Problem, denn ich bekam zu dieser Zeit keine Medikamente und landete so aufgrund des Blutverlustes mehrere Male in der Notaufnahme. In dieser Phase war ich zwar stark verunsichert, jedoch besserte sich mein Zustand zwischendurch immer wieder – bis ich meine Bachelorarbeit abgegeben habe. Dann kam die Krankheit plötzlich mit voller Wucht zurück und ich hatte bis zu 30 blutige Durchfälle pro Tag.
Waren die Symptome lebensbedrohlich?
Ja. Nach einer ersten Notoperation wurde ich in die Uniklinik eingeliefert, weil mein Zustand kritisch war. Dort war zum ersten Mal die Rede von einem künstlichen Darmausgang, wovon ich jedoch nichts wissen wollte. Damals war diese Vorstellung der reinste Horror für mich und auch meine Eltern waren dagegen. Als allerletzte Option hat man mir ein Immunsuppressivum verabreicht, das so gut anschlug, dass ich innerhalb von vier Tagen von der Intensivstation auf die normale Station verlegt werden konnte. Eine dauerhafte Lösung stellte das Medikament jedoch nicht dar, weil es bei längerer Einnahme nervenschädigende Nebenwirkungen mit sich bringt. Also musste ich mich wohl oder übel mit der Option eines künstlichen Darmausgangs anfreunden. Das war hart.
Welche Gedanken gingen Ihnen damals durch den Kopf?
Ich erinnere mich noch genau an einen älteren Herrn, dessen Beutel einmal in der Kantine der Rehaklinik vom Bauch abplatzte. So etwas wollte ich nie erleben. Auch dachte ich nur daran, dass der Beutel womöglich unangenehm riecht, dass der künstliche Ausgang Geräusche macht und es mir peinlich wäre, wenn andere das mitkriegen. Erst nach und nach informierte ich mich ausführlicher und kam zu der Erkenntnis, dass der Beutel mir meine Lebensqualität zurückgeben kann.
Wie sind Sie zu dieser Erkenntnis gelangt?
Mir hat es geholfen zu sehen, wie andere junge Frauen damit umgehen. Auf Instagram sah ich, dass die Beutel klein und unter der Kleidung unauffällig sein können. Am meisten Eindruck hat die Stärke der Frauen hinterlassen. Sie zeigten mir: Das Leben ist nicht vorbei, wenn du einen Beutel trägst. Also habe ich mich für die OP entschieden. Als ich danach aufwachte, musste ich das erste Mal seit zwei Jahren nicht auf die Toilette – das war unglaublich befreiend!
Mir hat es geholfen zu sehen, wie andere junge Frauen damit umgehen. Auf Instagram sah ich, dass die Beutel klein und unter der Kleidung unauffällig sein können. Am meisten Eindruck hat die Stärke der Frauen hinterlassen. Sie zeigten mir: Das Leben ist nicht vorbei, wenn du einen Beutel trägst. Also habe ich mich für die OP entschieden. Als ich danach aufwachte, musste ich das erste Mal seit zwei Jahren nicht auf die Toilette – das war unglaublich befreiend!
Kamen Sie anschließend gut mit dem künstlichen Ausgang zurecht?
Ja, ich hatte endlich mein Leben zurück, konnte wieder das Haus verlassen, essen, Sport machen, feiern. Ein halbes Jahr später traten jedoch leider weitere Komplikationen durch vernarbtes Gewebe auf, sodass ich wieder operiert werden musste. Hinzu kam, dass der Beutel immer schlechter am künstlichen Darmausgang hielt. Das hat meine Lebensqualität erneut stark gemindert. Das hat mich emotional sehr belastet.
Konnte das Problem gelöst werden?
Ich habe mich 2019 für eine weitere Operation entschieden, bei der ein Kock-Pouch gelegt wurde, also ein innen liegendes Reservoir, geformt aus einer Dünndarmschlinge. So brauche ich keinen externen Beutel mehr. Das hat mein Leben stark vereinfacht, da ich seitdem keine Angst mehr haben muss, dass etwas undicht ist, und keine gravierenden Probleme mehr auftraten.
Sie haben also in jungen Jahren starken körperlichen und psychischen Belastungen standhalten müssen. Was hat das mit Ihnen gemacht?
Die Krankheit hat mich an meine psychische Belastungsgrenze gebracht. Besonders belastend waren Situationen, in denen Ärzte mir nicht geglaubt haben, wenn es mir schlecht ging. Dieses Gefühl, nicht ernst genommen zu werden, wünsche ich niemandem. Die Aufenthalte in Krankenhäusern haben einerseits sichtbare und unsichtbare Narben hinterlassen, mich andererseits an ihnen wachsen lassen. Es ist meine Geschichte, die mich zu dem Menschen gemacht hat, der ich heute bin.
Sind Sie heute stärker als zuvor?
In gewisser Weise ja. Ich bin pragmatischer geworden und nehme Dinge, die ich nicht ändern kann, schneller an. Ich rege mich nicht mehr so schnell auf, sondern verwende meine Energie lieber auf etwas, das mich weiterbringt. Es gibt aber auch Tage, an denen ich wütend und traurig bin, weil ich diese Krankheit habe – und auch das ist okay.
In gewisser Weise ja. Ich bin pragmatischer geworden und nehme Dinge, die ich nicht ändern kann, schneller an. Ich rege mich nicht mehr so schnell auf, sondern verwende meine Energie lieber auf etwas, das mich weiterbringt. Es gibt aber auch Tage, an denen ich wütend und traurig bin, weil ich diese Krankheit habe – und auch das ist okay.
Was hat Sie dazu bewogen, Ihre Geschichte öffentlich zu machen?
Zunächst habe ich mein Instagram-Profil als Tagebuch verwendet. Erst später habe ich es benutzt, um andere für die Krankheit und den Umgang mit Menschen mit einem künstlichen Darmausgang zu sensibilisieren.
Inwiefern besteht Ihrer Ansicht Bedarf an Aufklärung?
Mir ist es mehrfach passiert, dass Menschen ihren Ekel geäußert haben oder an Toilettentüren geklopft haben, weil es länger dauerte. Das ist verletzendes Verhalten und darauf möchte ich aufmerksam machen. Niemand sucht sich diese Krankheit aus und niemand sollte aufgrund des eigenen Körpers verurteilt werden. Selbst Lob kann verletzend sein. Bei Aussagen wie „Wow, du machst trotz der Krankheit deinen Doktor“, frage ich, wo da der Zusammenhang besteht. Ich bin nicht meine Krankheit, sondern habe davon abgesehen ein ganz normales Leben.
Ist Ihre Teilnahme an Miss-Wahlen durch das Bedürfnis nach mehr Öffentlichkeit für dieses Thema motiviert?
Ich freue mich über die Gelegenheit, anderen Menschen mit dieser Erkrankung Mut zu machen. Außerdem möchte ich meine Geschichte erzählen. Mein Körper erzählt meine Geschichte – er ist besonders und schön, so wie er heute ist. Ich plädiere für ein Verständnis von Schönheit, das so vielfältig ist, wie das Leben selbst. In dieser Betrachtung gibt es keine Unterscheidung zwischen perfekten und unvollkommenen Körpern.
Wie sehen Ihre Pläne für die Zukunft aus?
Zunächst freue ich mich riesig auf die „Miss-Germany“-Wahl, wo ich gemeinsam mit den 15 anderen interessanten und starken Frauen viel erleben werde. Danach widme ich mich wieder ganz meiner Doktorarbeit, die ich aktuell im Bereich der marinen Mikrobiologie schreibe. Später würde ich gerne in die Darmforschung gehen und mich der Mikrobiomforschung widmen, um Menschen mit chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen Hilfe zu verschaffen. Da gibt es noch viel Forschungsbedarf.
Colitis ulcerosa – was ist das?
Colitis ulcerosa ist eine chronisch-entzündliche Erkrankung, bei der das Immunsystem die Schleimhaut des Dickdarms angreift. Sie verursacht starke Bauchschmerzen und Durchfall. Die Krankheit tritt in Schüben auf und wechselt sich mit beschwerdefreien Zeiten ab. Welche konkrete Ursache Colitis ulcerosa auslöst, ist bisher nicht bekannt. Möglich ist eine genetische Veranlagung für die Erkrankung.
Mehr als 320.000 Menschen in Deutschland leiden unter einer chronisch-entzündlichen Darmerkrankung. Hinter Morbus Crohn ist die Colitis ulcerosa die zweithäufigste Art.