Märchen-Recherche
Unser Kolumnist Matthias Höllings berichtet über einen märchenhaften Besuch in Oldenbüttel.
Das Hof-Café in Oldenbüttel hat neben leckerem, selbst gebackenem Kuchen auch zwei Esel gleich neben der Außenterrasse zu bieten. Einer etwas bockig, der andere zutraulich. Vielleicht saß ich zu lange ungeschützt in der prallen Sonne, aber mir war so, als wollte Letzterer mich in ein Gespräch verwickeln. Ich schob meinen Kuchenteller zu Seite, fragte ihn natürlich nach den Bremer Stadtmusikanten und erfuhr, dass er in gerader Linie bereits in der fünften Generation mit deren Esel verwandt ist.
Er war in Plauderlaune und erzählte: „Die meisten Leute wissen gar nicht, dass die fantastischen Vier doch bis Bremen gekommen sind. Damals, 1819, hatten sie ja ein Haus vor den Toren der Stadt besetzt und fühlten sich dort ganz wohl. Doch einige Zeit später kamen bei ihnen ein paar Orgelbauer auf dem Weg nach Bremen vorbei. Als diese dann wenig später bei ihren Arbeiten mumifizierte Leichen im Bremer Dom entdeckten, sprach sich das schnell herum. Die Vier also nichts wie hin. Mein Vorfahre hat dann beim Umbetten der Leichen in die Ostkrypta mitgeschleppt, der Hund hat die Ratten verbellt, während die Katze sich um die Mäuse gekümmert hat und der Hahn soll immer alles besser gewusst haben.“ Interessiert hakte ich nach: „Und haben die sich da im Dom auch als Musiker beworben?“ „Nee“, so der Esel, „die suchten damals einen neuen Organisten und ein paar Turmbläser. Einen tierisch guten Chor brauchten die damals nicht.“
Jetzt wollte ich natürlich mehr wissen. Zum Beispiel, was aus den Stadtmusikanten geworden ist und wieso er selbst in Oldenbüttel lebt? Er meinte: „So alt wie die Gebrüder Grimm es erzählt und aufgeschrieben haben, waren die Stadtmusikanten nun auch wieder nicht. Sie waren rüstig und gut drauf und haben in Bremen alle einen Partner oder eine Partnerin gefunden, sonst würde ich ja hier jetzt nicht stehen. Da es ihre Kinder mal besser haben sollten, haben sie alle nur erdenklichen Jobs angenommen. Das hat auch ganz gut geklappt.“
Er fuhr fort: „Obwohl das schon so lange her ist, gibt es bei uns die Tradition, alle vier Jahre eine großes Familientreffen zu veranstalten. Unglaublich, was und wer da alles zusammenkommt. Wir treffen uns tatsächlich seit Jahrzehnten im Wildgehege des Bremer Bürgerparks. Da werde ich beim nächsten Treffen für dich mal nachfragen, wer eigentlich wann und wo gelandet ist. Einer aus meiner Eselsippe ist zum Beispiel auf die griechische Inselgruppe Santorin ausgewandert, um dort Touristen zu befördern. Aus der Hundedynastie war einer beim Schäfer, dem sie in der Sögestraße auch ein Denkmal gesetzt haben. Eine Katze aus unserer Großfamilie findest du heute noch im Restaurant Katzentempel in der Nähe des Bremer Hauptbahnhofes. Und aus der Hahnenreihe war einer sogar mal Akt-Modell, als an der Hochschule für Künste in Bremen das Thema ‚Wetterhähne auf Kirchtürmen‘ auf dem Ausbildungsplan stand. Ich muss mich da beim nächsten Treffen noch mal schlau machen. Komm einfach auf’n Kaffee wieder vorbei. Ich bin immer hier“, sagte der Esel.
Oder zumindest glaubte ich, dass er es mir gesagt hatte. Dann knabberte er vergnügt an einem Grasbüschel. Ich saß immer noch in der prallen Sonne, zog mir meinen Kuchenteller näher heran und grübelte darüber nach, wie dieser Esel bloß nach Oldenbüttel gekommen war.