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#Bremer Köpfe #Kolumne – Matthias Höllings
3. Januar 2025

Kein echtes Seemannsgarn

Matthias Höllings, ehemaliger Pressesprecher der ÖVB-Arena, spürt in diesem Monat dem beliebten Ausflugsziel "Mäuseturm" nach.

Matthias Höllings, ehemaliger Pressesprecher der ÖVB-Arena, spürt in diesem Monat dem beliebten Ausflugsziel "Mäuseturm" nach.

Als wäre es gestern gewesen: Das Kalenderblatt zeigt Montag, den 6. April 1925. Es sollte ein schöner und wolkenloser Tag werden. Wie üblich, hatte sich mit aufgehender Sonne ein Nebelschleier über die Weser gelegt. Für den Kapitän eines englischen Dampfers nicht weiter ungewöhnlich. Sein Ziel war der Bremer Überseehafen. 19 Jahre zuvor hatte man nicht nur für ihn als neues Wahrzeichen der Stadt einen hohen Leuchtturm auf die Abschlussmole gebaut. Dort saßen die sogenannten Bremer „Molenfürsten“, um den eintreffenden Schiffen ihren für sie vorgesehenen Liegeplatz zuzuweisen. Damit auch ja nichts schief ging und kein Schiff verpasst wurde, wohnten die Männer des Hafenamtes einsam und recht unfürstlich in dem unbeheizten Turm. Einzige Besucher waren immer wieder hungrige Mäuse. Sie saßen meist den ganzen Tag in dem runden Turmzimmer, also nicht die Mäuse, sondern die Beamten, und mussten bei Nebel alle fünfzehn Minuten auf den Außenbalkon, um für die herannahenden Schiffe eine Glocke zu läuten. Bei guter Sicht traten sie mit einem Megafon nach draußen und gaben den Kapitänen damit Anweisungen, um sie ungefährdet zum vorgesehenen Liegeplatz zu lotsen.

Aber an diesem besagten Montagmorgen ging so ein Manöver komplett schief und lief im wahrsten Sinne des Wortes völlig aus dem Ruder. Für den Kapitän des englischen Dampfers war dieses Glockenspiel im Viertelstundentakt zu langsam. Er bekam die Kurve nicht und rammte den Molenturm samt Personal und Mäusen. Das neue Wahrzeichen geriet in Schieflage, der Diensthabende stürzte samt Schreibtisch zu Boden, die Mäuse sprangen in die Weser und das Turmfundament riss. Was für ein Wochenanfang! Der englische Dampfer erreichte mit etwas Verspätung leicht beschädigt doch noch seinen Liegeplatz.

War es so früh am Morgen Trunkenheit am Steuer? Oder war der Käpt’n einfach nur gut informiert und wusste, dass am selben Tag bei ihm zu Hause in London das Unterhaus den Antrag der britischen Regierung auf Beseitigung der Reparationsabgabe genehmigte, was eine Normalisierung des Handels mit dem Deutschen Reich bedeutete? Aber fährt man deshalb bei fremden Leuten einen Leuchtturm um? Über Reparaturzahlungen des Kapitäns für den „Mäuseturm“, wie ihn viele Bremerinnen und Bremer nannten, ist nichts weiter überliefert, nur dass man den Turm ein Jahr später aus den alten Steinen etwas schöner mit zwei Galerien, einem Erker und einem Laternenhaus samt Kupferdach wieder aufgebaut hat.

Und genauso schön steht das zwölf Meter hohe Wahrzeichen, der korrekt „Molenfeuer Überseehafen Süd“ heißt, immer noch da. Heute ist er für Ausflügler per Rad oder mit der kleinen „Pusdorp“-Fähre ein beliebtes Ausflugsziel und Fotomotiv schräg gegenüber vom riesigen Getreidespeicher und dem Veranstaltungscenter Pier 2. Die „Molenfürsten“ bimmeln schon lange nicht mehr bei Nebel mit ihrer Glocke, sondern wurden durch ein grünes Licht ersetzt, was man angeblich in einer Entfernung von neun Seemeilen noch sehen kann. Und was ist mit den Mäusen? Man erzählt sich, das einige von denen, die 1925 vom Molenturm in die Weser gesprungen sind, es bis nach Bremerhaven auf ein Schiff nach New York geschafft haben. Das könnte der Grund gewesen sein, warum 1986 in Amerika der Zeichentrickfilm „Feivel, der Mauswanderer“ gedreht wurde. Aber ob das alles so stimmt?

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