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#Kolumne – Matthias Höllings
28. März 2024

Immer an der Wand entlang

Matthias Höllings

Der ehemalige Pressesprecher der ÖVB-Arena fragt in seiner Kolumne: Ist das Kunst oder Vandalismus?

Der ehemalige Pressesprecher der ÖVB-Arena fragt in seiner Kolumne: Ist das Kunst oder Vandalismus?

Früher gab’s nur Tuschkästen, aber meine Tochter durfte im Kindergarten bereits mit Fingerfarben immer an der Wand entlang die Tapeten verschönern. Zuhause aber nicht.

Meine getuschten früheren Kunstwerke pinnten meine Eltern nicht stolz an die Wand, weshalb ich es dann selbst mit Leberwurst als Klebstoff versucht habe. Kam nicht so gut an, wie später bei Josef Beuys mit seiner Butter in der Zimmerecke. Die Machwerke der ersten Sprayer empfanden nicht nur meine Eltern als Schmierereien. Einwände, dass doch schon in der Antike allerlei Graffiti-Malerei und Schriftzüge an den Wänden von Tempeln zu finden gewesen seien, stießen bei ihnen auf taube Ohren. Okay, zugegeben, damals gab es auch noch keine zu verschönernden Zugwaggons.

Da war es dann auch nicht weiter verwunderlich, dass viele Erwachsene in den 70er Jahren über die Machwerke des „Sprayer von Zürich“ verärgert waren, der auf privaten und öffentlichen Flächen immer an der Wand entlang seinen Protest über das monotone Stadtbild mit schwarzen Strichmännchen zum Ausdruck brachte. Für die einen waren seine Sprühattacken hässlicher Vandalismus, für die anderen echte Kunst. Und welche Seite hat damals wohl gewonnen? Es wurde für den Sprayer ein Kopfgeld von 3.000 CHF ausgelobt. 1979 erwischte ihn nachts eine Zivilstreife, als er gerade seine Brille suchte, die er beim Verschönern der Betonwände verloren hatte. Mit Brille wäre das nicht passiert. Harald Oskar Naegli heißt der gute Mann, der vom Gericht zu einer hohen Geldstrafe und neun Monaten Haft verurteilt wurde. Er wohnt noch in Zürich, aber seine Kunstwerke wurden von Amts wegen größtenteils übermalt. Genau zu dieser Zeit, als Herr Naegli nachts mit seiner Spraydose in Zürich sein Unwesen trieb, wurde in Bristol / England sein würdiger Nachfolger geboren.

 

 

Keine Ahnung, ob der im Kindergarten oder Zuhause mit Fingerfarben die Wände verzieren durfte, aber eine geschulte Wahrnehmung von Dimensionen, Proportionen und Details kann man seinen heutigen Werken nicht absprechen. Er wird momentan zwar gesucht, aber ein Kopfgeld wurde nicht auf ihn ausgeschrieben. Stattdessen wird er als weltweit größter Street-Art-Superstar gefeiert, obwohl er sich dem kommerziellen Kunstbetrieb verweigert. Sein richtiger Name ist unbekannt, aber unter dem Pseudonym „Banksy“ sendet er mit seinen Schablonengraffiti fleißig Botschaften auf Häuserwände, die ihm nicht gehören. Was beim „Sprayer von Zürich“ noch als Vandalismus galt und als Sachbeschädigung hart bestraft wurde, ist bei „Banksy“ jetzt große Kunst. Und damit die nicht durch Vandalismus zerstört wird, werden seine Kunstwerke mittlerweile mit Abdeckungen versehen. Verkehrte Welt. Dass Street-Art auch ohne Straßenwände funktioniert, beweist die Ausstellung „The Mystery of Banksy“, die ab 8. April im BLG-Forum zu sehen ist.

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