„I love the norddeutsche Publikum!“
Gayle Tufts spielt die Hauptrolle in „Hello, Dolly!“ am Theater Bremen
In Deutschland kennen viele die Entertainerin, Sängerin und Autorin Gayle Tufts als berühmteste Verwenderin der humorvollen Mischung aus Deutsch und Englisch – “Denglisch“ oder „Dinglish“, wie sie es nennt. Im neuen Musical des Theater Bremens „Hello, Dolly!“ wird sie die Hauptrolle spielen. Warum ihre Familie denkt, dass sie sehr deutsch geworden ist, welche Beziehung die Amerikanerin zu Bremen hat und warum die Menschen besonders in diesen Zeiten ein Stück wie den Musicalklassiker gebrauchen können, erzählt sie im Interview.
Gibt es etwas, dass Sie immer machen, wenn Sie nach Bremen kommen?
Ich gehe immer ins Theater, auch wenn ich selbst nicht spiele. Und ins Viertel, dort habe ich im Übrigen meinen Mann im Jungen Theater in der Friesenstraße kennengelernt. Das Viertel ist ein bisschen zu Hause für mich und ich gehe auch gerne in das Café Engel auf ein Glas Wein. Als ich letztens dort saß, kam der Keller zu mir und sagte: „Du brauchst ein Glas Rosé!“ Ich antwortete: „Yes, I do!“ Die wissen hier anscheinend telepathisch, was ich brauche (lacht). Bremen hat einfach etwas wahnsinnig Bodenständiges, mehr als Berlin und bestimmt mehr als Hamburg. Und das schätze ich sehr.
Können Sie hier entspannt im Café sitzen und spazieren gehen oder werden Sie direkt erkannt?
Ich werde schon erkannt, besonders von Frauen in meinem Alter, um die 50 plus. Erst kürzlich begrüßten mich in einem Drogeriemarkt zwei Damen mit „Ach, Frau Tufts.“ Wenn ich denen vorschlage, Ende des Monats ins Theater zu kommen, folgt meistens ein „Jajaja“, dabei meine ich das so. Wir brauchen sie, ohne Publikum zu spielen, macht keinen Spaß und es macht auch keinen Sinn. Theater ist ein Austausch. Und ich finde, besonders „Hello, Dolly!“ ist etwas, das die Leute gut gebrauchen können: Es ist stimmungshebend.
Worum geht es genau in „Hello, Dolly!“?
Es geht um eine Frau in meinem Alter, die ein bisschen geschafft ist von ihrer Situation als Witwe, vom vielen Arbeiten und ihren finanziellen Problemen. Ich verstehe das sehr gut, denn ich bin auch Freiberuflerin. Gott sei Dank war ich in Deutschland, als es mit Corona losging. Diesen Sommer war ich in New York und erfuhr: Selbst meine Freunde, die am Broadway spielen, haben kaum Arbeitslosengeld bekommen. Alle Geschäfte hatten zu, die ganze Stadt war leer, wie in einem Roland-Emmerich-Blockbuster.
Was war es für ein Gefühl, nach über zwei Jahren wieder in Amerika zu sein?
An dem Tag, als ich nach Boston kam, kippte der Supreme Court das Abtreibungsrecht. Da dachte ich mir nur: ,Welcome the fuck back!‘ Vor dem State House, wo der Gouverneur sitzt, waren innerhalb einer halben Stunde Tausende Frauen. So starteten meine ersten Stunden zurück in Amerika mitten in einer Demo. Es ist ein sehr prekärer Moment in der amerikanischen Geschichte. Meine Familie hat also nicht einfach einen Grillabend veranstaltet. Wir waren alle baff über diese Entscheidung. Dementsprechend haben wir viel darüber gesprochen. Meine Familie findet übrigens, dass ich sehr deutsch geworden bin.
Inwiefern?
Weil ich diese Dinge mache, wie um elf Uhr morgens auf dem Weg zum Supermarkt zu fragen, was wir zu Abend essen wollen. Und die sagen dann: „It’s eleven o clock, I don’t know – you’re so german.“
Kommen wir zurück zum Stück, das online als eine musikalische Komödie angekündigt wird.
In Amerika haben wir schon immer von „Musical Comedy“ gesprochen, es gibt dort eine reiche Tradition an musikalischen Komödien. Das ist unser Pendant zur Operette, aber noch volksnaher, mit einer großen Bandbreite von berührenden Momenten, gemischt mit Elementen einer Komödie. Wir unterscheiden in Amerika nicht so sehr zwischen dem, was witzig, und dem, was tragisch ist, beides geht Hand in Hand.
Wie war es, als Sie für „Hello, Dolly!“ angefragt wurden? Viele denken dabei an große Hollywooddiven wie Barbara Streisand und Bette Midler.
Ja, und dann komme ich (lacht)! Es ist einfach eine Paraderolle für ein komödiantisches Talent. Das bedeutet, ein bestimmtes Timing zu haben, eine Pointe setzen zu können. Frank Hilbrich, der leitende Regisseur im Musiktheater, hatte mich ursprünglich für eine Operette angefragt, aber das ist nicht so mein Ding. Ich bin im Musical zu Hause. Ich habe diese Rolle sogar schon einmal gespielt, als ich 16 war, aber erst jetzt bin ich alt genug dafür. Ich kann nicht für das Theater sprechen, aber nach den letzten Jahren sind wir gefühlt alle etwas am Ende mit unseren Nerven und ein Musical zu machen, ist auch eine Art, den Leuten etwas zu geben.
Ist es einfach, das norddeutsche Publikum zum Lachen zu bringen?
Oh, I love the norddeutsche Publikum! Ich bin im ganzen Land auf Tournee und bevorzuge eher den Norden. Vielleicht, weil ich aus dem Nordosten von Amerika komme. Außerdem ist „Dinglish“ nicht so weit weg vom Platt – die Leute verstehen mich tatsächlich besser als im Süden. Hier möchten sie nicht unbedingt schunkeln. Aber das ist auch gut so, denn meine Show ist nicht ausschließlich witzig. Man muss auch zuhören, und das können die Norddeutschen gut.
Wie schaffen Sie es bei allem, was momentan in der Welt passiert, sich Ihre positive Art zu bewahren?
Es gibt da eine schöne Parallele zum Stück, in dem ich die ersten zehn Minuten platt auf dem Boden liegend verbringe. Dolly spricht dann zu ihrem verstorbenen Mann: „Ich bin so fertig, Efraim!“ So fühle ich mich auch manchmal. Auch ich bin nicht immer nur happy, aber ich probiere das zu akzeptieren, denn spätestens mit den Wechseljahren habe ich meinen Frieden damit geschlossen, nicht immer jung, brauchbar und knackig zu sein. Ich versuche auf meine Gesundheit zu achten, genug Schlaf zu bekommen und viel Wasser zu trinken. All diese normalen Dinge, aber es hilft. Es klingt so schleimig, aber ich schreibe jeden Morgen zehn Dinge auf, für die ich dankbar bin. Das können nette Begegnungen sein oder einfach, dass ich gesund bin und in Freiheit und Sicherheit lebe.
Der Film wirkt mit Barbara Streisand fast wie ein Märchen. Haben Sie „Hello, Dolly!“ mit diesem Stück mehr in das reale Leben zurückgeholt?
Ja, schon. Frank Hilbrich sieht die Traurigkeit in diesen Charakteren, denn viele sind am Anfang sehr einsam und am Ende kommen sie zwar zusammen, aber es ist nicht alles perfekt. Der Song „It Only Takes A Moment“ hat heutzutage eine andere Bedeutung. Denn in einem Moment kann man sich nicht nur verlieben, dein Leben kann sich gut oder schlecht verändern. Auch die Message, das Leben nicht vorbeiziehen zu lassen, finde ich wirklich gut. Natürlich gibt es Tage, an denen alles schlecht zu sein scheint. Es funktioniert dann aber nicht, sich zu Hause in einer Endlosschleife unter einer dicken Decke mit Toffifee und Netflix zu verstecken. Das können Sie mir glauben, ich habe es probiert (lacht). Es ist dann besser, rauszugehen und unter Leute zu kommen. Ins Theater zum Beispiel, am besten zu „Hello, Dolly!“. In diesem Stück kommen alle Facetten des Musiktheaters zusammen. Und die Musik ist am Ende auch das, was uns alle zusammenbringt – the universal language.
Info
Premiere: Freitag, 25. November, Theater am Goetheplatz, 19.30 Uhr