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Dirk Böhling. Foto: FR
#Kolumne – Baby Boomer Böhling
28. August 2024

Eugen

Unser Kolumnist Dirk Böhling erinnert sich in dieser Ausgabe an einen ganz besonderen Klassenkameraden.

Unser Kolumnist Dirk Böhling erinnert sich in dieser Ausgabe an einen ganz besonderen Klassenkameraden.

Wir alle kannten mindestens einen. Einen, den ich heute – stellvertretend für alle – Eugen nennen möchte. Eugen war der, dessen halbes Brötchen immer auf die Butterseite fiel, dessen Schnürsenkel immer offen waren und dessen meist verschiedene Socken immer Löcher hatten.

Eugen hatte nie Taschentücher, obwohl ihm ständig die Nase lief, und was das immer für Flecken auf Eugens Ärmel waren, wollte niemand genau wissen. Eugen störte weder sein Milchbart, noch dass er beim Sprechen nicht selten sein Schulbrot noch nicht ganz heruntergeschluckt hatte oder beim Diktat gerne mal laut pupste. Eugen war immer gut gelaunt. Egal, ob er mal wieder seinen Turnbeutel für den Sportunterricht vergessen hatte und dann barfuß, im Unterhemd und mit hochgekrempelter Hose beim Bockspringen mit voller Wucht gegen das Sportgerät knallte oder ob er einen Tag zu früh verkleidet zum Kinderfasching in die Schule kam und dann die ganzen sechs Stunden als Urmel herumlaufen musste.

Eugen kleckerte beim Englischvokabeltest die Tinte aus dem Füller, sein Geodreieck war an den Ecken abgeknabbert und wenn mit dem Zirkel gearbeitet werden sollte, saß Eugen an einem Einzeltisch und um ihn herum wurde großräumig evakuiert. Im Chor sang Eugen am lautesten und zwar so schief, dass ihm der Musiklehrer zu einem Rhythmusinstrument riet.

Und beim Schulausflug konnte man sicher sein, dass Eugen sich regelmäßig im Museum oder Zoo verlief und dann auch mal dort vergessen wurde. Eugen war das egal. Er machte munter alles mit. Auf dem Nachhauseweg war Eugen der mit dem platten Reifen am Fahrrad, nachmittags auf dem Bolzplatz wurde er beim „Piss-Pott“ (Zusammenstellung der Mannschaften) immer als Letzter gewählt und musste ins Tor. Der Satz „Eugen geht ins Tor!“, bedeutete dann auch nichts Anderes als „Acht zu Null nach sechs Minuten!“.

Trotzdem war Eugen immer freundlich und merkte oft gar nicht, wenn die anderen ihn verarschten. Ich habe Eugen nur einmal richtig sauer erlebt – als ihn zwei ältere Jungen dazu ermutigt hatten, gegen einen Elektrozaun zu pinkeln … Aber sonst: Wenn man Eugen traf, grinste er. Er freute sich und irgendwie hatte man in seiner Gegenwart sofort bessere Laune. Es war ja auch lustig, wenn er mit offenem Mund alles glaubte, was man sagte, oder wenn er wieder mal einen Witz weitererzählte, den er eigentlich gar nicht verstanden hatte. In der Pubertät nahm man Eugen dann mit auf Partys, weil man glaubte, neben ihm ganz gut auszusehen. Ich habe mal gehört, das war bei Mädchen und ihren weiblichen Eugens nicht anders.

Wie auch immer, es ist Zeit, einmal Danke zu sagen. Danke an alle Eugens unserer Kindheit und Teenagerzeit, weil sie unsere Leben nicht selten etwas leichter gemacht haben, ohne es zu wollen oder zu wissen! Eugen war wichtig, denn er war immer noch ein bisschen naiver, trotteliger und ungeschickter als man selbst. Eugen zeigte uns auf mühelose Weise, was so alles schiefgehen kann, und er war dabei trotzdem nie ein wirklicher Verlierer. Danke, Eugen!

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