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#Kolumne – Matthias Höllings
29. November 2023

„Erst eine, dann zwei, dann drei, dann vier...

„… und wenn man nicht aufpasst, wird es eine Art Gier“, sagt einer, der es wissen muss. Horst Baraczewski, Jahrgang 1954 und früher Geschäftsführer der Bremer Buchhandlung Geist, widmet sich heute als Rentner ausgiebig seinem Hobby: der handgemachten Musik. Und die performt er als Linkshänder.

„… und wenn man nicht aufpasst, wird es eine Art Gier“, sagt einer, der es wissen muss. Horst Baraczewski, Jahrgang 1954 und früher Geschäftsführer der Bremer Buchhandlung Geist, widmet sich heute als Rentner ausgiebig seinem Hobby: der handgemachten Musik. Und die performt er als Linkshänder.

Die ungewöhnliche Geschichte des jugendlichen Linkshänders Horst begann zu Zeiten der Beat-Ära, als sein Vater 1967 endlich ein Einsehen hatte und seinem Sohn in Köln für 100 Mark eine rote Brett-Gitarre der Firma „Höfner“ kaufte. Eine handelsübliche Gitarre für Rechtshänder. Doch Horst wollte seinen großen Linkshänder-Vorbildern Pete Townshend (The Who), Jeff Beck (The Yardbirds) oder Eric Clapton (The Cream) nacheifern. Damals waren Linkshänder-Gitarren nur schwer erhältlich und extrem teuer. Also musste man entweder qualvoll von links auf rechts umschulen, eine handelsübliche Gitarre für Rechtshänder auf links umbauen, oder lange auf eine echte Linkshänder-Gitarre sparen und warten.

Anfang der 1990er-Jahre, mittlerweile in Bremen tätig, hatte Horst es immerhin auf zwölf Linkshänder-Gitarren gebracht und damit auch die Aufmerksamkeit des Bremer Konzertveranstalters Charly Born auf sich gelenkt – ebenfalls Musiker und Linkshänder. Die beiden „Linken“ stellten schnell fest, dass sie es beide auf die Modelle der US-amerikanischen Firma „Fender“ abgesehen hatten. Joe Fender hatte Ende der 1940er-Jahre mit der Produktion seiner E-Gitarren begonnen. Horst Baraczewski stand als Musiker mehr auf die erste Serie der „Telecaster“ (auch Tele genannt), während Charly Born mehr für die Baureihe danach schwärmte – Gitarren, die sich „Stratocaster“ (Strat) nannten. Es dauerte nicht lange und die Musiker hatten ihre Gitarren so lange untereinander getauscht, bis jeder seine persönlichen Lieblinge besaß. Als Charly Born dann leider viel zu früh verstarb, kaufte Horst Baraczewski dessen Bestand auf und hatte plötzlich 24 Gitarren für Linkshänder. Aber mal ehrlich, wie viele Instrumente braucht man, um als Musiker glücklich zu sein? Horst Baraczewski antwortet auf diese Frage überraschend offen und ehrlich mit einem breitem Grinsen: „Ich leide wohl unter G.A.S., was so viel bedeutet wie „Geräte-Anschaffungs-Syndrom“ (Gear-Acquisition-Syndrom). Das steht scherzhaft für das Kaufen, Sammeln und Horten von Musikinstrumenten plus Equipment, für die kein unmittelbarer Bedarf besteht.“ Mit 24 Gitarren hätte sein Bedarf also gedeckt sein können, aber da Horst längst weiß, dass elektrische Gitarren auch nichts anderes sind als vielfältige Legobaukästen, flammt seine Leidenschaft erneut auf. Jetzt wird plötzlich zerlegt und wieder zusammengebaut. Und wenn man dann noch mit einem Lötkolben umgehen kann und im Internet in der entsprechenden Gitarrenszene reichlich Anregungen, Einzelteile und viele Tipps von Kollegen findet, bleibt einem keine andere Wahl als weiterzumachen. Horst: „Viele Einzelteile für Elektrogitarren habe ich in den USA bestellt. Eine E-Gitarre ist ja nicht mehr als ein Stück Holz mit einem Hals, der mal geleimt oder mal angeschraubt wurde. Dazu noch Saiten, Schnecken, Schalter und Tonabnehmer. Alles kein Hexenwerk. Da habe ich im Stil von Autoschraubern ein wenig gebastelt und plötzlich hatte ich 70 Gitarren.“

In der Zwischenzeit fingen auch die Chinesen an, für kleines Geld Vintage-Gitarren auf den Markt zu bringen. Pech für Sammler Horst, da sein Bestand dadurch plötzlich von 70 auf 120 Gitarren anwuchs. Wohl gemerkt alles Instrumente für Linkshänder, mittlerweile auch ergänzt durch akustische Gitarren und Bässe, ach, überhaupt alles was Saiten hat. Mittlerweile hat er bereits die Marke von 150 Exemplaren geknackt. Noch ist kein Ende in Sicht, aber auf die Frage, ob er sich bei seiner Leidenschaft am Stargitarristen Joe Bonamassa orientieren möchte, der wie er unter G.A.S. leidet, es aber bei Rechtshänder-Gitarren aktuell auf 650 Exemplare gebracht hat, antwortet Horst: „Eigentlich brauche ich nur eine. Aber welche Gitarre bin ich – und wenn ja, wie viele?“ Und fügt dann noch hinzu: „Vielleicht sollte ich den Rest der Sammlung Musikschulen vermachen? Heute ist ja bekannt, dass Umschulungen von links auf rechts gesundheitliche Einschränkungen wie Sprach-, Gedächtnis- und Konzentrationsstörungen mit sich bringen können. Dann lieber gleich eine Linkshänder-Gitarre ganz ohne Basteln mit dem Lötkolben. Musik soll ja Spaß machen.“

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