Zum Seitenanfang
Thomas Schaaf. Foto: Marco Meister
#Bremer Köpfe
29. April 2024

Thomas Schaaf: „Ein unglaublicher Moment“

Der Werder-Kulttrainer spricht im Interview über die Doublesaison 2003/2004

Der Werder-Kulttrainer spricht im Interview über die Doublesaison 2003/2004

Es war der 8. Mai 2004. Werder Bremen versetzte mit einem 3:1-Erfolg bei Bayern München und dem daraus resultierenden Meistertitel eine ganze Region in Ekstase. Drei Wochen später holten sich die in dieser Saison Grün-Orangenen durch einen 3:2-Sieg gegen Alemannia Aachen auch noch den DFB-Pokal. 20 Jahre danach trafen wir den damaligen Erfolgscoach Thomas Schaaf und sprachen mit ihm über die Doublesaison, den Geist der Mannschaft und die Rolle der Fans für den Erfolg.

Moin Herr Schaaf, lassen Sie uns über die Doublesaison 2003/2004 sprechen. Wie war das damals?

Es fing sehr schlecht an. Wir mussten im UI-Cup nach Pasching. Es war eine ganz komische Situation, sehr warm und es herrschte gar keine richtige Fußballatmosphäre. Irgendwie spürte ich das schon bei der Mannschaft. Wir verloren unmittelbar vorm Saisonauftakt mit 0:4 beim FC Pasching aus Österreich vor 4500 Zuschauern. Genau der Wachmacher, den wir damals brauchten. Drei Tage später gewannen wir mit 3:0 zum Saisonauftakt bei Hertha BSC Berlin. Und es präsentierte sich ein komplett anderes Team, das von da an seinen Weg gehen sollte. Eigentlich hat der Weg, der uns zum Double geführt hat, aber bereits 1999, direkt nach dem Pokalsieg, begonnen. Wir sind damals mit einer anderen Ausrichtung und einem anderen System in die neue Saison gegangen. Es stand uns ein Kader zur Verfügung, der sehr gefüllt war. Also haben wir erst einmal genau geguckt, mit wem wir unsere Idee vom Fußball verwirklichen konnten. Es gab auch Spieler, die kurzzeitig gekommen sind und uns dann auch wieder verlassen haben. Frank Verlaat ist so ein Beispiel. Er gehörte zwar nicht mehr zur Meistermannschaft, hat uns auf dem Weg dahin aber weitergeholfen.

Was war das Besondere an der Mannschaft?

Die Mannschaft war eine ganz besondere Einheit, die unbedingt den Erfolg wollte. Die Jungs haben sich gegenseitig immer wieder gepusht und wir hatten nicht nur elf sondern 22 oder mehr Spieler, also quasi zwei Mannschaften. Wenn einer ausfiel, kam ein anderer rein und machte es genauso gut. Angelos Charisteas ersetzte Ivan Klasnic, Nelson Valdes kam für Ailton und traf. Aber auch Viktor Skripnik, Pekka Lagerblom, Holger Wehlage oder Simon Rolfes, um nur einige zu nennen, waren ganz wichtige Bestandteile der Mannschaft. Wille und Moral waren hervorragend. Ich erinnere mich an ein Spiel, das wir für die Ersatzspieler unter der Woche organisiert hatten. Sie traten damals gegen den belgischen Erstligisten Antwerpen an und fegten die im Trainingsspiel mit 5:0 vom Platz. So heiß waren die Jungs damals.

Foto: J. Stoss

Und Sie hatten Anführer im Team.

Das stimmt. Wir hatten viele Anführer, ein zentraler Punkt war Johan Micoud, er hatte das Kommando und er hatte ein Ziel: Erfolg. Wenn einer aus der Mannschaft nicht so mitgezogen hat, wie er das wollte, konnte Johan sehr klare Ansagen machen. Es gab aber auch noch weitere Anführer, Frank Baumann zum Beispiel.

Auch die Neuverpflichtungen vor der Saison spielten sicherlich eine große Rolle.

Natürlich, da kam Ümit Davala von Inter Mailand und erklärte dem ersten Reporter, der ihn nach seinem Saisonziel fragte, dass das die Meisterschaft sei. Das mussten wir auch erst einmal verarbeiten.

Zudem wurde mit Valérien Ismaël ein damals 27-jähriger Verteidiger aus dem französischen Straßburg geholt, den kaum jemand auf dem Zettel hatte und der sich zu einem der besten Innenverteidiger der Liga entwickelte …

Das war vor allem den hervorragenden Verbindungen von Klaus Allofs nach Frankreich zu verdanken. Das es so perfekt mit Mladen Kristajic in der Innenverteidigung passen und auch so schnell funktionieren würde, hatten wir auch nicht erwartet.

Foto: J. Stoss

Wer zeichnete damals für die Spielerverpflichtungen verantwortlich?

Es war ein Zusammenspiel vieler Leute. Fakt ist aber auch, dass Klaus Allofs und ich uns über die Jahre zusammengefunden und eine Idee davon entwickelt haben, wie unser Fußball aussehen soll. Wir hatten nicht die wirtschaftlichen Möglichkeiten wie andere Vereine und mussten immer schauen und nach kreativen Lösungen suchen. Wir haben dann gesehen, wie sich das mit unserem Etat und unseren Möglichkeiten am besten realisieren ließ, von wo wir welche Spieler holen konnten. Damals gab es noch gewisse Lücken, die es heute so nicht mehr gibt. Heute ist der gesamte Spielermarkt schon komplett durchleuchtet. Wir hatten es da vielleicht noch ein bisschen einfacher. Aber trotzdem musste man immer schlau sein, um gute Leute zu finden. Man brauchte ein gutes Netzwerk, gute Verbindungen und ein gutes Scoutingsystem. Es wurde eine ganze Menge Vorarbeit geleistet, bevor Klaus und ich dann die finalen Entscheidungen getroffen haben.

Ein weiterer wichtiger Faktor des damaligen Teams war Torhüter Andreas Reinke, den Sie als damals 33-Jährigen aus Murcia in Spanien geholt haben. Wie kommt man auf so einen?

Wir suchten einen Torwart und stießen dabei auf Andreas. Wir haben ihn dann beobachten lassen und uns wurde von seinen starken Leistungen und vor allem seiner unaufgeregten Art berichtet. Viele hatten vergessen, dass er 1998 mit dem 1. FC Kaiserslautern schon Deutscher Meister geworden war. Also haben Klaus und ich beschlossen, ihn persönlich zu beobachten. Wir sind nach Malaga geflogen und mussten dann erstmal das Stadion von Murcia suchen. Wir sind zuerst gar nicht ins Stadion reinkommen, mussten einmal komplett drum herumlaufen, um auf unsere Plätze zu gelangen. Was wir dann sahen, hat uns aber absolut überzeugt. Nach dem Spiel haben wir uns mit Andreas dann in Granada getroffen und die Sache klar gemacht.

Gab es eine Situation während der Saison, in der Sie dachten, dass das Ganze auch noch einmal kippen könnte?

Nein, wir sind aber auch ganz anders in die Saison gegangen. Wir hatten ja gar nicht das Ziel, Meister und Pokalsieger zu werden. Nach dem schlechten Start gegen Pasching waren wir zunächst erst einmal froh dann positiv in die Saison gestartet zu sein. Uns war vor allem die Art und Weise unseres Fußballs wichtig. Wie die Mannschaft insgesamt aufgetreten ist, war einfach gut. Dass wir irgendwie versagen könnten hatten wir gar nicht auf dem Zettel, da die Erwartung gar nicht vorhanden.

Foto: J. Stoss

Gab es spezielle Momente während der Saison, in denen Sie dachten, dass mit der Mannschaft mehr möglich sei als ursprünglich geplant?

An erster Stelle sicherlich der Sieg in Frankfurt am 28. Spieltag. Da war richtig Feuer drin. Ein ganz schwieriges Spiel. Noch vor der Halbzeit gingen Ioannis Amanatidis von Frankfurt und Ümit Davala gemeinsam mit Rot vom Platz. Als wir uns dort letztendlich durch ein Elfmetertor von Ismaël eine Viertelstunde vor Schluss behaupten konnten, habe ich erstmals daran gedacht, dass es mit der Meisterschaft klappen könnte. Aber auch das Spiel in Mönchengladbach, was wahrlich nicht unsere beste Leistung war und welches wir in Unterzahl durch ein Tor von Frank Baumann in allerletzter Minute gewinnen konnten, war sicherlich ein wichtiger Punkt an dem man merken konnte, was mit dieser Mannschaft möglich war. Und es gibt noch einige mehr.

Welche Rolle spielten damals die Fans für den Erfolg?

Eine sehr große, ich habe damals nicht umsonst gesagt, dass sie Fanmeister geworden sind. Es war eine Welle der Euphorie, auf der die Mannschaft getragen worden ist. Das fing an bei den anfangs etwas argwöhnisch beäugten sogenannten Papageientrikots (grün mit orangenen Ärmeln, Anm. d. Redaktion) an, welche nach der Saison zu den bis dato meistverkauften zählten und endete mit diesem wahnsinnigen Support bei den Auswärtsspielen. Wir hatten immer tausende Fans im Rücken, der Auswärtsblock war quasi jedes Mal ausverkauft. Und dann diese Euphorie, als wir bei der Meisterfeier mit dem Bus über den Osterdeich gefahren sind. Da waren Großeltern mit ihren Enkeln, Akademiker und Arbeiter, Männer Frauen, Kinder und alle lächelten uns zu und waren voller Stolz. Ein unglaublicher Moment.

Vor dem „Endspiel“ am 32. Spieltag im Münchner Olympiastadion kamen vermehrt Störfeuer von der Abteilung Attacke der Bayern. Hat das Sie oder die Mannschaft auf irgendeine Art und Weise noch verunsichert?

Überhaupt nicht. Wir haben uns gesagt: „Wir bleiben bei uns. Wir kennen das. Lass die mal sabbeln. Wir kümmern uns um uns und alles andere blenden wir aus.“ Das war bei dem angesprochenen Spiel noch einmal ganz deutlich. Sie wollten uns ja „wegfegen“. Aber die Mannschaft hat einfach und konsequent ihr Ding durchgezogen, 3:1 gewonnen und sich in München zum Meister gekrönt.

Es gibt dieses Bild von Ihnen, wie Sie mit der Mannschaft nach dem Spiel auf dem Bremer Flughafen landen und dann mit einer Fahne aus der Luke des Cockpits gucken und die zehntausenden Fans auf dem Rollfeld filmen …

Wir hörten während des Fluges, dass sich die halbe Stadt auf den Weg zum Flughafen gemacht haben soll, und konnten es gar nicht glauben. Dann haben wir den Piloten gefragt, ob er noch einmal über den Flughafen kreisen könnte, damit wir das sehen können. Das haben die alles gemacht und dann auch noch gesagt, dass sie vorne im Cockpit eine Luke haben, aus der man rausgucken könnte. „Eine Luke im Cockpit? Da muss ich mir erst einmal Gedanken über die Sicherheit des Fliegens machen“, habe ich daraufhin zum Piloten gesagt. Aber dann habe ich das natürlich gemacht. Einer gab mir eine Kamera, der nächste eine Fahne. Ich guckte raus und sah diese unglaublichen Massen an Werderfans. Das war sehr schön!

Das Interview führte Martin Märtens.

Weitere Beiträge