Ein Leben lang undercover
Matthias Höllings macht per Zufall eine spannende Reise durch viele Stationen der Bremischen Rock- und Popgeschichte der 1950er- und 60er-Jahre.
Als ich wieder einmal im Bremer Schallplatten-Laden „Hot Shots“ in alten Singles wühle, fällt mir plötzlich eine Vinylscheibe von einem Steve Collins in die Hände. Nicht Phil Collins, sondern Steve. Der Name sagt mir nichts, aber das Gesicht auf dem Cover erinnert mich stark an den Sänger und Gitarristen der Bremer Oldie-Band The Mushroams, die ich unzählige Male auf dem Freimarkt im Bayernzelt gesehen und gehört hatte. Der Typ hieß allerdings nicht Steve, sondern Günter.
Also Handy ’raus und googeln. Da gibt es einen kanadischen Skispringer und einen irischen Boxer, aber keinen Sänger unter diesem Namen. „Sweet Blindness“ heißt ein Titel auf der Single, die ich in den Händen halte. Stimmt – ich tappe im Dunkeln. Nach mehreren Anläufen über Musikerkanäle nach dem Motto „Ich kenne einen, der auch einen kennt und der hat einen Bruder …“ finde ich meinen Günter dann doch in Bremen, der mir bei einem Treffen grinsend bestätigt: „Ja, Steve Collins, den kenne ich. Das war und bin ich.“ Neugierig geworden, will ich mehr wissen und lasse ihn erzählen.
Es sollte eine aufschlussreiche, spannende Reise durch viele Stationen der Bremischen Rock- und Popgeschichte der 50er- und 60er-Jahre werden.
Angefangen hatte Günter Saalbach, wie er in Wirklichkeit heißt, zu Beginn der 60er-Jahre als Waschbrettspieler der Band „Mama Bettys Band“, lernte dann Gitarre und begann, Elvis-Titel zu singen. Wie bei vielen anderen Musikerkollegen damals üblich, musste neben der Musik auch eine solide Berufsausbildung her. Günter wurde Rundfunk- und Fernsehtechniker und landete später bei Radio Bremen in der Sendeleitung. Als Musiker und Sänger ließ er kaum eine der damals angesagten Bremer Bands aus und war Mitglied bei den Beat-Nits (1964), Rascals (1964), The Germans (1966), Shakespeares (1970) und ab 1993 bei den Mushroams.
Bei den Yankees (Halbstark) stieg Günter 1965 genau vor ihrem legendären Auftritt in der Radio-Bremen-TV-Sendung Beat-Club aus, bei der Mike Leckebusch Regie führte und ihm dort mehrmals über den Weg lief. Über diesen Kontakt stolperte er auch über eine Neuerung im Musikbusiness: Das Halbplayback. „Alle Sänger fingen plötzlich damit an und traten ohne Gruppe nur mit Musik vom Band auf. Das war mein Ding. Das wollte ich auch und hatte damit Erfolg“, erinnert sich Günter Saalbach, der nun zu Steve Collins wurde.
Mit Hilfe des Bremer Schlagersängers und Produzenten Wolfgang Roloff (Ronny – Oh my Darling-Clementine) brachte er unter seinem neuen Künstlernamen in Eigenregie vier Singles auf den Markt. Produziert wurden die Platten in Diepholz beim Jaguar-Lable. Das rief den Bremer Klaus-Peter Schulenberg (KPS) mit seiner Agentur für Künstlermanagement auf den Plan. Er nahm diesen Steve Collins unter Vertrag und verschaffte ihm prompt einen internationalen Vertrag bei der Schallplattenfirma Polydor.
Schulenberg, früher selbst Gitarrist und Organist der Schülerband „Free“, hatte bereits Bernd Clüver (Der Junge mit der Mundharmonika) unter seine Fittiche genommen. Jetzt also war es Steve Collins. Der Polydor-Vertrag verschaffte seinem neuen Schützling Collins die Single „Live is a game“, mit der er im Januar 1979 in der Bremer TV-Sendung „Musikladen“ auftrat. Regie hatte Mike Leckebusch. „Bei den Yankees war ich kurz vor dem Beat-Club-Auftritt als Bandmitglied ausgeschieden. Aber diesmal hat es dann doch mit einem TV-Auftritt geklappt“, erzählt Günter.
Die nächste Single von Steve Collins sollte Frank Farian (Boney M.) produzieren, aber daraus wurde leider nichts. Steve schrieb mittlerweile seine eigenen Songs und Mike Leckebusch legte ihm den Musikverleger Rolf Baierle (ROBA Music Verlag) in Hamburg ans Herz. „Der war zwar auch von von meiner Elvis-Stimme und selbstbesungenen Kassette beeindruckt, ließ meinen Songtext mit dem Titel „6-3-7-8-4“ aber lieber vom niederländischen Elvis, dem Sänger Jack Jersey einsingen“, erinnert sich Günter. Jersey trat damit – Ironie des Schicksals – im Januar 1984 auch im „Musikladen“ auf, ohne jedoch zu wissen, wer dieser Komponist Steve Collins eigentlich ist. „Ich stand bei seinem TV-Auftritt sozusagen undercover bei der Sendung von Radio Bremen in den Kulissen und habe mich amüsiert,“ schmunzelt Günter Saalbach.
Radio-Bremen-Moderator Christian Günther lud Collins des Öfteren in seine Sendungen ein und rührte damit kräftig für den Bremer die Werbetrommel. Somit bekannt aus Funk- und Fernsehen tourte Steve mit eigenem Halbplayback-Programm durch deutsche Discotheken und war auch auf Mallorca und Gran Canaria zu hören. „Die meisten Leute in Bremen sind aber nie dahintergekommen, dass dieser Steve Collins eigentlich ein Bremer Musiker ist“, erzählt Günter Saalbach amüsiert und fügt hinzu: „Es hat mich einfach nie jemand danach gefragt. Die Telefonnummer meines Jack Jersey-Hits „6-3-7-8-4“ anzurufen, hätte damals auch nichts gebracht, die war natürlich nicht echt und hatte ja auch keine Bremer Vorwahl“.
Und was macht dieser Steve Collins heute? „Keine Ahnung, aber der Rentner Günter Saalbach hört immer noch gerne Musik und spielt zuhause gelegentlich Klavier“, erklärt Günter lächelnd.