Zum Seitenanfang
#Kolumne – Baby Boomer Böhling
15. Oktober 2024

Ein Hoch auf die feuchten Tücher!

In seiner aktuellen Kolumne erinnert sich Babyboomer und STADTMAGAZIN-Kolumnist Dirk Böhling an das Folterwerkzeug der Körperhygiene seiner Kindheit: das Feuchttuch.

In seiner aktuellen Kolumne erinnert sich Babyboomer und STADTMAGAZIN-Kolumnist Dirk Böhling an das Folterwerkzeug der Körperhygiene seiner Kindheit: das Feuchttuch.

Es ist auf jedem Spielplatz gang und gäbe, dass Eltern sie in den praktischen, luftdichten Boxen immer frisch gezapft parat haben, etwa wenn der Nachwuchs gerade angefangen hat, die Sandkiste leer zu essen. Sie gehören zur Grundausstattung in Kitas und Krabbelgruppen, sind biologisch abbaubar, keimfrei, rückfettend und hygienisch: die Feuchttücher.

Ihre Zielgruppe beschränkt sich aber nicht nur auf die Vorder- und Rückseiten von Kindern zwischen Windeltisch und Vorschule. Auch die Seniorengeneration hat sie längst für sich entdeckt und freut sich über ihre sanft reinigende, feuchtigkeitspendende und die Hautelastizität fördernde Erfindung! Schön, dass es sie gibt. Noch schöner, dass sie – sozusagen ganz nebenbei einen ganz neuen und eigenen Markt eröffnet haben, denn wo Feuchttücher gebraucht werden, müssen sie schließlich auch sachgerecht gelagert und portioniert werden. So ist quasi eine ganze Feuchttücherbox-Industrie entstanden. Wiederverschließbar sollen sie sein, spülmaschinenfest und staubdicht. Es gibt sie zum Hängen, Aufstellen und selbstklebend aus Plastik, Teakholz und Edelstahl in allen Farben und Formen bis hin zum Retrolook.

Apropos retro: Früher nannte man diese Feuchttücher Waschlappen. Die gab es auch in vielen Farben und Größen, sie wurden mehrfach benutzt und nach Gebrauch in die Waschmaschine geworfen und wieder verwendet. Das war sicher nicht so hygienisch wie heute, zog dafür aber auch nicht Müllberge nach sich, auf denen man locker eine Tageswanderung machen könnte. Weil man damals unterwegs keinen Waschlappen zur Hand hatte, blieb übrigens auch so mancher Kindermund einfach mal verschmiert.
Unfassbar, aber wahr: Man konnte den Kindern ansehen, was sie gerade gegessen oder getrunken hatten! Grinsende Milchbärte, Schokoladenränder über der Zahnlücke und das eine oder andere überzuckerte Kinn zeugten vom Verbraucherverhalten der kleinen Spielplatzbesucher und zwar genau so lange, bis Oma kam. Die hatte nämlich sozusagen den Prototyp des Feuchttuches erfunden, sie war quasi die Urmutter des mobilen Säuberungswahns. Das Schlimmste daran war nämlich, dass sie es tatsächlich immer und überall dabeihatte und man sich als Kind nicht davor wehren konnte. Schutzlos war man diesem Folterwerkzeug der Körperhygiene ausgeliefert, das sich meistens mit dem scheinbar liebevollen Satz „Komm mal her, wie siehst du denn aus?“ ankündigte.

Dann geschah es – das bis heute Traumatische, das Grauen in Form eines unschuldigen Stofftaschentuchs … Oma nahm es, spuckte kurz hinein und begann dann den vorher angepeilten Schokofleck, Marmeladenrest oder sonstigen Essensrückstand gezielt und mit voller Härte wegzufräsen, bis nichts weiter als gerötete Kinderhaut übrig war.
Dass man dann noch mit einem lächelnden „So nun bist du wieder hübsch!“ entlassen wurde, machte das Martyrium komplett.

Die Generation Feuchttuch weiß gar nicht, wie gut sie es hat!

Weitere Beiträge