"Ein CSD ist immer politisch"
Interview anlässlich des diesjährigen Bremer „Christopher Street Day“ Ende August
Der „Christopher Street Day“ (CSD) erinnert an den 28. Juni 1969, an dem Polizisten die Schwulen- und Lesbenbar „Stonewall Inn“ in der New Yorker Christopher Street stürmten. Die Folge waren mehrtägige Proteste von Homo- und Transsexuellen. Die ersten Demonstrationen dieser Art fanden in Deutschland am 30. Juni 1979 statt – unter anderem in Bremen. Seit 2016 wird die Veranstaltung vom Verein „CSD Bremen + Bremerhaven“ organisiert. Die Besucherzahlen wachsen stetig, trotz vieler Bemühungen und Erfolge wie der Ehe für alle ist das Thema aktueller denn je. Wir sprachen mit den Organisatoren Jermaine Greene, Moritz Zeising und Thorsten Höller über den diesjährigen CSD, die Anfänge des Vereins sowie Schwierigkeiten und Hoffnungen der queeren Community in der Hansestadt.
Seit 2016 gibt es den Verein „CSD Bremen + Bremerhaven“. Wie kam es dazu?
Jermaine Greene: Aus unterschiedlichen Gründen gab es seit Mitte der 1990er nur noch im Jahr 2004 einen CSD. Die Community ist im Laufe der Jahre immer weiter gewachsen, sodass sich einige Personen dann 2016 entschlossen haben, den CSD zu reaktivieren. Denn eigentlich kann es sich eine Stadt, die so groß und so lebendig ist wie Bremen, gar nicht leisten, keinen CSD zu haben. Hier gibt es verschiedene queere Menschen, die Repräsentanz finden müssen. Deshalb setzen wir uns hier für die Rechte der LGBTQIA+-Community ein. Das war der Grundgedanke.
Was unterscheidet die Vereinsarbeit im Vergleich zu den Anfängen?
Greene: Gerade in den ersten Jahren war vieles Trial and Error. Damals wurde die Erfahrung gemacht, dass manche Stimmen lauter sind und andere sehr schnell nicht mehr gehört werden. Dementsprechend hat sich unser Verein nun so aufgebaut, dass es verschiedene Teams gibt, die an unterschiedlichen Zielen arbeiten, sodass niemand mit seinen Interessen alleingelassen wird.
Welche Ziele sind das vorrangig?
Greene: Wir sind ein wenig weg davon zu sagen, wir sind ein nicht-kommerzieller und politischer CSD. Darauf wurde anfangs großen Wert gelegt. Wir müssen uns aber der Wahrheit stellen, dass es nicht unbedingt leicht ist, wenn man wenig Geld hat. Bei Zehntausenden Besucher:innen brauchen wir natürlich einen finanziellen Spielraum, um das halbwegs bedienen zu können. Das heißt nicht, dass wir uns ausverkaufen. Ein CSD ist eigentlich immer politisch und man kann auch mit Sponsor-ing politische Statements setzen. Uns ist in diesem Jahr auf jeden Fall wichtig, dass wir Institutionen aus Bremen und umzu die Möglichkeit geben, sich zu präsentieren. Man hat oft das Gefühl, es gibt hier keine queeren Angebote. Das stimmt nicht, man muss sie nur leider suchen. Wir wollen als CSD eine Plattform sein für entsprechende Institutionen, um zu zeigen: Es gibt in Bremen und Bremerhaven eine Community und queeres Leben sowie ein vielfältiges Angebot, das man nutzen kann. Das ist ein großes Ziel: Dass sich möglichst alle repräsentiert fühlen und mitgenommen werden.
Moritz Zeising: Ein Thema, welches uns derzeit sehr beschäftigt, sind natürlich Übergriffe, die rund um die CSDs, aber auch generell passieren. Wir stellen schon fest, dass die Thematik Diskriminierung und Gewalt zunimmt. Da ist jede und jeder Einzelne gefordert, einzuschreiten und hinzuschauen. Es gab in den vergangenen Jahren in vielen Städten Vorfälle, zum Beispiel der tödlich endende Angriff auf eine Transperson 2022 in Münster, aber auch der Übergriff Anfang des Jahres hier in Bremen.
Was raten Sie Menschen, die solche Übergriffe mitbekommen?
Zeising: Auf jeden Fall hinschauen, nicht weggehen, dabeibleiben. Dann überlegen, wie kann man einschreiten, ohne sich selbst in Gefahr zu bringen. Wir sind gerade dabei, ein Awareness-Team für den CSD zu engagieren. Es soll außerdem eine Rückzugsmöglichkeit vor Ort beim CSD geben, wo Leute Hilfe bekommen.
Greene: Wir sind auch in Gesprächen mit der Polizei und haben dort auf das Thema aufmerksam gemacht. Es hat in diesem Jahr bundesweit bislang leider kaum ein CSD stattgefunden, wo nichts passiert ist. Natürlich wird es letzten Endes aber Situationen geben, wo wir als Verein leider wenig machen können, zum Beispiel wenn die Leute nach der Demo mit den öffentlichen Verkehrsmitteln nach Hause fahren. Wir sind sehr froh, dass wir in Bremen zumindest während der Demo eine Kooperation mit der Bremer Straßenbahn AG haben. Sie stellt einen Bus zur Verfügung für Menschen, die zum Beispiel nicht den ganzen Marsch mitmachen können oder die sich unwohl fühlen.
2022 kamen rekordverdächtige 12.000 Menschen zum CSD Bremen. Wie viele erwarten Sie am 26. August?
Greene: Wir hoffen natürlich auf mehr. In diesem Jahr sind wir mit unseren Ankündigungen und der Werbung auf Social Media viel früher dran. Wir haben jetzt schon Themen gesetzt und die Community mitmachen lassen, zum Beispiel bei der Wahl des Mottos „First pride was a riot“, auf Deutsch: „Die erste Demo war ein Aufstand“. Wir haben keine Zahl, an der wir fest machen, das ist ein Erfolg oder Misserfolg. Letzten Endes geht es natürlich darum, dass der Tag schön wird, aber unsere Hoffnung ist schon, dass wir jetzt noch mehr Leute für die Sache begeistern können.
Unterstützung ist also gewünscht?
Greene: Absolut. Es kann gar nicht genügend helfende Personen geben. Sowohl bei der Vororganisation als auch am Tag selbst. Wir brauchen zum Beispiel noch Ordnungskräfte en masse. Da werde ich auch im Freundeskreis fragen, ob sie sich für den Tag einweisen lassen, ein Leibchen überziehen und mitlaufen.
Wie wichtig ist denn der CSD für die Community?
Greene: Ich gehe davon aus, und so ehrlich muss man sein, dass es von 12.000 Besucher:innen wahrscheinlich 10.000 Leuten egal ist, was wir dort für politische Redebeiträge haben. Der Community selbst ist es, denke ich, deshalb wichtig, weil wir die Repräsentanz und Sichtbarkeit brauchen. Daneben gibt es aber auch Personen, die sagen: Wir sind viel zu kommerziell ausgerichtet und wir bedienen zu viele Leute, gegen die wir quasi früher eigentlich gekämpft haben.
Zeising: Ich glaube, es gibt nicht nur die eine, sondern viele verschiedene Communitys in Bremen. Es gibt zum Beispiel Leute, die nicht zu einer Riesendemo kommen können oder wollen, oder die Repression auf dem CSD fürchten. Dessen müssen wir uns bewusst sein und auch vor Augen halten: Der CSD ist ein Teil davon, queere Menschen sichtbar zu machen und politische Forderungen rüberzubringen. Aber es gibt auch ganz viele andere Gruppierungen, die sich für queere Rechte stark machen. Gerade hier in Bremen ist zum Beispiel eine feministische Szene sehr aktiv. Uns ist es deshalb wichtig, auch zu deren Demos zu gehen, oder dort bei Aktionen mitzumachen und andere Themen, die in dieselbe Richtung gehen, voranzubringen.
Was wünschen Sie sich für die Zukunft?
Zeising: Ich wünsche mir, dass sich Menschen beim und rund um den CSD, aber auch in allen anderen Monaten sicher fühlen. Dass Leute keine Angst haben müssen hier Händchen haltend durch die Stadt zu laufen und sich in ihrer Transition ausleben können.
Greene: Ich wünsche mir, dass sich alle Menschen des LGBTQIA+-Spektrums als selbstverständlicher Teil dieser Gesellschaft, sicher und gesehen fühlen, dass sich niemand verstecken muss. Es ist völlig egal, wen man liebt. Vielfalt sollte als Stärke betrachtet werden und nicht als Hindernis, Bedrohung, Problem oder Schwäche.
Das Interview führte Christina Ivanda