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15. Oktober 2024

Buchbesprechung: „Das schillernde Leben des Nikel Pallat“ von Nikel Pallat mit Christof Dörr

Aus dem Leben eines Steuerinspektors

Aus dem Leben eines Steuerinspektors

„Das schillernde Leben des Nikel Pallat“, lautet der Buchtitel. Der Name sagt mir nichts. Darunter steht: „von Ton, Steine, Scherben bis Adele“. Bei dieser Namenskombination werde ich neugierig und beginne zu lesen. Es wird eine unterhaltsame Reise durch die Musikgeschichte der Independent-Welt in Deutschland. Von einem der auszog, die etablierte Musikindustrie wenn schon nicht das Fürchten, so doch das Grübeln zu lehren.

Dieser Nikel Pallat war 1970 wie ich Besucher auf dem „Love & Peace-Festival“ auf der Insel Fehmarn und hatte dort die letzte Band Ton, Steine, Scherben mit ihrem Sänger Rio Reiser und dem Lied „Macht kaputt, was euch kaputt macht“ erlebt. Ausdrucksstarke deutsche Texte mit Wucht vorgetragen – das war neu und faszinierend. Ein paar Wochen später, so lese ich, traf er bei einem Auftritt in der Berliner Hochschule für Künste erneut auf die Band, sprach den Schlagzeuger Wolfgang Seidel an und bat ihn, der Band einige seiner selbst geschriebenen Texte vorstellen zu dürfen. Er durfte und wurde einige Zeit später der Organisator dieser „Scherben-Familie“. Heute würde man sagen: Plötzlich hatte die Band einen Manager, der sich mit Zahlen auskannte. Und er durfte sogar Texte schreiben und in der Band singen. Unglaublich, aber so einfach konnte damals das Leben seinen Lauf nehmen.

Einblicke in die Band-WG

Nach nur wenigen der 240 Seiten zieht mich diese außergewöhnliche Biografie also in ihren Bann. Aufgeschrieben hat sie der Autor Christof Dörr – angereichert wurde sie mit Aussagen von ehemaligen Weggefährten. Aus der Sicht von Nikel Pallat verschafft er mit seinen Schilderungen einen Einblick in das Wohngemeinschaftsleben, in seine unterschiedlichen Aktivitäten und über das Leben der Musiker in dieser Scherben-Familie. Eine Band, die zwar erfolgreich, aber nicht reich war. Pallat schmeißt damals seinen Steuerberaterjob hin und kümmert sich fortan um die wirklich wichtigen Fragen des Lebens: Wie viel Geld haben wir noch? Woher bekommen wir neues Geld? Wofür geben wir unser Geld aus?

 

Crowdfunding für eine neue Platte

Am Beispiel von Ton, Steine, Scherben wird amüsant und aufschlussreich geschildert, wie es dem ehemaligen Waldorfschüler gelingt, mal als Musiker und Texter der Band zu agieren und dann wieder als Buchhalter für Ordnung zu sorgen. Ich lese erstaunt, dass Anfang der 1970er- Jahre für eine neue Plattenproduktion von Freunden und Fans Geld eingesammelt wird – man so das Crowdfunding quasi längst erfunden hat – und die Band mit Rio Reiser selbst die Platten eintüten musste, um Geld zu sparen. Als Anfang ihres eigenen Vertriebsnetzes dürfte wohl die Lauferei zu den kleinen Plattenläden gelten, immer mit ihren aktuellen Tonträgern unter dem Arm.

Die zwischenzeitlich auf bis zu 15 Personen angewachsene Scherben-Familie zieht von Berlin aufs Land in eine große WG. Und Nikel Pallat baut seine Vertriebsidee weiter aus: Die Firma Schneeball entsteht, gefolgt von dem Vertriebsnetz EfA (Energie für alle). Aber da ist Nikel Pallat schon lange nicht mehr bei der Band, ihnen aber immer noch freundschaftlich verbunden.

Auf ausgesprochen lockere, aber immer ehrliche und reflektierende Art nimmt mich Nikel Pallat in den kurzen fast 50 Kapiteln mit auf seine Reise durch die letzten Jahrzehnte, die zumindest privat vor vielen Jahren mit seiner Frau Marie Sublet in Bremen in einem dreistöckigen Wohndomizil endet. Ohne ihn hätte es den noch immer größten deutschen Independentvertrieb „Indigo“ nicht gegeben. Seinen ehemaligen Managerjob für die Scherben-Familie übernahm damals Claudia Roth, heute Staatsministerin für Kultur und Medien.

Von Talkshows und britischen Superstars

Nach dem Lesen dieser ungewöhnlichen Biografie habe ich das Gefühl, diesen Nikel Pallat gut zu kennen, ohne ihn je getroffen zu haben. Das werde ich wohl nachholen müssen, um dann mit ihm noch einmal nostalgisch über das „Love & Peace-Festival“ auf Fehmarn 1970 zu plaudern. Bei diesem Treffen kann ich dann auch noch einmal genauer nachfragen, warum er in einer WDR-Talkshow mit einer Axt einen Tisch zertrümmern wollte und wieso er an dem kometenhaften Durchbruch der englischen Sängerin Adele beteiligt war …

Nikel Pallat mit Christof Dörr: Das schillernde Leben des Nikel Pallat, Hannibal Verlag, 240 Seiten, Taschenbuch, 20 Euro

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