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Foto: Rieke Oehlerking
29. November 2023

„Bremen ist eine Begegnungsstätte der Literatur“

Das Literaturhaus Bremen spricht in seinem Podcast mit Buchmenschen und Buchmacher:innen offen, persönlich und aktuell über die bunte Vielfalt in der Hansestadt

Das Literaturhaus Bremen spricht in seinem Podcast mit Buchmenschen und Buchmacher:innen offen, persönlich und aktuell über die bunte Vielfalt in der Hansestadt

Unsere Hansestadt ist von der UNESCO offiziell zur „City of Literature“ ernannt worden – überzeugt war die Jury unter anderem von den vielen kreativen Projekten der Stadt, die zusammengenommen eine bunte Vielfalt des Literaturbetriebs in Bremen ergeben. Dazu gehört seit 2021 auch der Literaturhaus Podcast, der anschaulich und abwechslungsreich über das aktuelle literarische Geschehen in Bremen informiert. Zum Gespräch lädt das Redaktionsteam nicht nur regionale und nationale Autor:innen, sondern auch unterschiedliche Lesegenerationen, Buchhändler:innen, Verlagsvertreter:innen sowie Mitarbeitende sämtlicher Einrichtungen, die sich um die Vermittlung literarischer Inhalte, Themen und Ausdrucksformen kümmern. Im Gespräch verraten Heike Müller, Leiterin des virtuellen Literaturhauses, und Silke Behl, Journalistin und Redaktionschefin des Podcasts, was die Bremer Literaturszene im bundesweiten Vergleich so besonders macht, wen sie sich als Gesprächspartner:innen vor das Mikro holen und was sie sich für die literarische Zukunft der Hansestadt wünschen.

Wann und wie ist die Idee eines literarischen Podcasts entstanden?

Heike Müller: Wir sind mit dem Podcast 2021 gestartet, zeitgleich zum Launch des digitalen Literaturmagazins, mit dem wir uns damals zum Ziel gesetzt hatten, die vielfältige Bremer Literaturszene abzubilden und das literarische Leben in unserer Stadt zu porträtieren. Der Podcast ist das Audioformat zu diesem Magazin. Wir wollen Stimmen aus der Bremer Szene hörbar machen, aber auch Autor:innen und Gästen aus der Buch- und Literaturbranche von außerhalb eine Plattform bieten.
Silke Behl: Bremen ist auch deshalb „City of Literature“ geworden, weil wir hier eine unglaublich bunt gemischte Szene haben, mit vielen engagierten und buchaffinen Leuten und spannenden Projekten. Wir brauchen uns literarisch nicht zu verstecken. Diese abwechslungsreiche Literaturszene zugänglich zu machen und die verschiedenen Ebenen aufzuzeigen, auf denen Bremen literarisch wirkt, ist die Hintergrundidee unseres Audioprojekts.

Wie nehmen Sie die abwechslungsreiche Literaturszene in Bremen denn wahr?

Behl: Bremen ist dreifach stark vertreten: regional, national und sogar international. Auf regionaler Ebene sind einige der erfolgreichsten Schriftsteller:innen der Gegenwartsliteratur wie Nora Bossong, Sven Regener oder auch der Slam-Poet Bas Böttcher zu nennen, die von der Weser kommen und teilweise noch immer stark vernetzt und leidenschaftlich im lokalen Literaturbetrieb engagiert sind. Nicht zuletzt dank der Bremer Literaturfestivals „Globale“ und „Poetry on the Road“ haben wir zudem zahlreiche internationale Künstler und Künstlerinnen bei uns zu Gast. Vor Kurzem hatten wir zum Beispiel die ukrainische Schriftstellerin Tanja Maljartschuk vor dem Mikro, die als Gast der „Globale“ sehr berührend über die Bedeutung von Literatur in Krisenzeiten berichtet hat und über ihr eigenes Erleben des Kriegs, der seit zwei Jahren in ihrem Heimatland tobt. Übrigens ist das eine meiner Lieblingsfolgen über eine ganz starke und sehr inspirierende junge Frau. Aber auch nationale Autor:innen kommen immer wieder zu uns nach Bremen. Judith Herman, Trägerin des Bremer Literaturpreises 2022, wird im Januar zum Beispiel die „Literarische Woche“ eröffnen. Bremen ist eine Begegnungsstätte der Literatur, ein Treffpunkt für Buchmenschen und Buchmacher:innen zum gemeinsamen Austausch und Entwickeln.
Müller: Nicht zu vergessen ist auch die starke Nachwuchsszene in Bremen, die den literarischen Stellenwert und die Bedeutung der jungen regionalen Literatur auf bundesweiter Ebene stärkt. Seit Jahren organisieren wir vom Literaturhaus in Zusammenarbeit mit lokalen Autor:innen den Bremer „Schulhausroman“, bei dem Schüler und Schülerinnen gemeinsam mit erfahrenen Schriftsteller:innen eine eigene Geschichte verfassen, die dann bei einem Bremer Verlag als Buch veröffentlicht wird. In den Workshops haben Kinder und Jugendliche die Möglichkeit, ihre eigenen Themen in einer kreativen Atmosphäre umzusetzen. Das Projekt ist jedes Mal eine Entdeckung verborgener Geschichten und Talente.

Neben Autor:innen laden Sie auch Verleger:innen und Buchhändler:innen ein. Geht es ausschließlich um Literatur?

Müller: Im weitesten Sinne immer. Zu einem literarischen Leben in der Stadt gehören neben den Schriftsteller:innen schließlich auch die Buchläden, die Buchhändler:innen und die Verlage. Wir haben so viele unterschiedliche inhabergeführte Buchhandlungen in Bremen, ob linksgerichtete, traditionell aufgebaute oder solche speziell für Kinder. Die „Schwarze Kinderbibliothek“ ist bundesweit die erste Kinderbibliothek für diversitätsbewusste Kinder- und Jugendliteratur. All diese Stimmen, Projekte und Veranstaltungen tragen zu unserer lebendigen Szene bei.
Behl: Und dann hört man, dass der Bremer Buchhandel tot sei … Dabei ist doch das genaue Gegenteil der Fall!

Wem gehören die Stimmen im Podcast und woher stammen die Themen?

Behl: Unsere Redakteur:innen haben alle eine fundierte journalistisch-wissenschaftliche Ausbildung. Neben einem grundlegenden Interesse an Literatur ist nicht nur das redaktionelle Handwerk wichtig, sondern auch der gesellschaftliche Rundumblick. Was bewegt Bremen und die Welt? Nicht alle Mitarbeitenden sind in Bremen ansässig, manche sind mittlerweile in Berlin und arbeiten und produzieren von da aus. Das klappt wunderbar und sorgt zusätzlich für frischen Wind bei der Themenfindung.
Müller: Auf jeden Fall. Wir treffen uns regelmäßig zu virtuellen Redaktionssitzungen und besprechen Ideen, das tagesaktuelle Weltgeschehen sowie anstehende Veranstaltungen in Bremen. Wir fragen uns gemeinsam, was wir literarisch aufarbeiten, wer welche Aufgaben übernimmt und welche Gäste wir einladen können. Dazu zählen auch leise, vielleicht noch unbekannte Stimmen. Wir wollen nicht nur die großen Namen über die Bühne ziehen, sondern wissen, welche Akteur:innen es gibt und wie vielstimmig unsere Stadt im Hinblick auf Lesen, Schreiben und Bücher ist. Unser Ziel ist es immer, auch Menschen eine Stimme geben, die man in diesem Diskurs sonst vielleicht nicht hören würde.
Behl: Wichtig ist auch, genreoffen zu sein und zu bleiben. Ob Graphic Novels, Lyrik, Romane, Sachbücher, Kinder- und Jugendliteratur – diese Vielfalt macht das literarische Leben in einer Stadt erst aus.

Welches Gespräch hat Sie nachhaltig ganz besonders beeindruckt?

Behl: Auf die aktuelle Folge über Literatur in Krisen- und Kriegszeiten habe ich mich intensiv vorbereitet. Es ist bemerkenswert und erschütternd zugleich, wenn eine talentierte Literaturstimme aus ihrem persönlichen Erleben heraus berichtet, dass sie aufgrund der letzten zwei Jahre nicht mehr schreiben kann. Ich möchte wissen, warum die Menschen schreiben und ihre Geschichten kennenlernen. Das ist meine Triebfeder.
Müller: Ich erinnere mich an Tomasz Jedrowski, der in Bremen geboren wurde. Mit 16 ist er nach England ausgewandert, um zu studieren und schließlich Schriftsteller zu werden. Seine Heimat war für ihn nach seinem Coming-out lange ein rotes Tuch, doch als sein Debüt vom „Guardian“ zum Buch des Jahres gekürt wurde, haben wir ihn nach Bremen und in den Podcast eingeladen. Wir haben eine Lesung mit ihm organisiert und ihn in unser Schulhausroman-Projekt mit eingebunden. Wir wollten ihm zeigen, was Bremen kann, auch literarisch. Der Besuch war am Ende eine Versöhnung für ihn.

Können Sie schon verraten, mit welchen Themen es im neuen Jahr weitergeht?

Müller: Im Januar starten wir mit dem Thema „Zugehörigkeit“, im Februar planen wir eine Folge rund um „Bremen gegen Rechts“ beziehungsweise über rechte Strömungen in Deutschland und Europa. Auch werden wir uns mit dem „FAHRRADja 2024“ beschäftigen – und das Buch mit dem Fahrrad kombinieren. Wir planen außerdem, barrierefrei zu werden. Konkret heißt das, dass die Interviews auch als Texte bei uns im Web erscheinen werden. Und natürlich schreitet auch die Arbeit am Stadtmusikanten- und Literaturhaus voran. Es wird also ein spannendes Jahr!
Behl: Die Ernennung zur „City of Literature“ war wichtig, das literarische Leben wird präsenter und der Nachwuchs stärker gefördert werden. Mit unserem Podcast wollen wir weiter dazu beitragen, das literarische Leben sichtbar zu machen. Denn wir mögen eine kleine Stadt sein, aber hier passiert tatsächlich eine ganze Menge!

Das Interview führte Svenja Conrad.

Infos und Podcast: www.literaturhaus-bremen.de

Stadt der Literatur

Die UNESCO hat Bremen den Titel „City of Literature“ verliehen

Bremen war schon immer eine Stadt der Bücher und der Leseratten – und auch die Gebrüder Grimm haben unsere Hansestadt in einem ihrer berühmtesten Märchen verewigt. Seit Kurzem ist es nun aber auch ganz offiziell: Die UNESCO hat Bremen am 31. Oktober 2023 in das internationale Netzwerk der „Creative Cities“ aufgenommen und der Wesermetropole den Titel „Stadt der Literatur“ verliehen. Zu verdanken hat Bremen das nicht nur den vier tierischen Musikanten, sondern vor allem der engagierten Literatur- und Festivallandschaft, den vielen außergewöhnlichen Projekten rund um Bücher und Geschichten, dem renommierten „Bremer Literaturpreis“ sowie den zahlreichen Autor:innen, Buchhandlungen und Verlagen, die alle miteinander zu dieser lebendigen Literaturszene beitragen, die nun ausgezeichnet wurde.

 

Das Bremer Literaturkontor, das virtuelle Literaturhaus Bremen und der Literaturhaus Podcast gestalten die Szene in der Hansestadt dabei besonders aktiv mit und kümmern sich neben der Organisation von Lesungen und buchbezogenen Veranstaltungen intensiv um die Nachwuchsförderung. Für 2025 ist die Eröffnung des neuen Stadtmusikanten- und Literaturhauses im Kontorhaus in der Langenstraße geplant. Mit einem Lesecafé, einer Buchhandlung und viel Raum für Lesungen, kreative Darbietungen, Workshops sowie Angeboten speziell für junge Leser:innen soll so ein weiterer Ort des literarischen Austausches entstehen. Keine Frage: Bremen ist im wahrsten Sinne des Wortes eine ausgezeichnete Stadt der Bücher.

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