„Bibliotheken sind besondere Orte“
Lucia Werder über die Herausforderungen der Stadtbibliothek Bremen, Fake News und Sonntagsöffnungen
Nach 31 Jahren hat die Stadtbibliothek Bremen eine neue Direktorin: Lucia Werder folgt auf Barbara Lison, die sich in den Ruhestand verabschiedet hat. Wir haben mit der 45-jährigen studierten Bibliothekswissenschaftlerin über die Zukunft, die Herausforderungen und die Chancen der Stadtbibliothek gesprochen.
Frau Werder, Sie sind seit Oktober Direktorin der Stadtbibliothek Bremen, waren zuvor bereits stellvertretende Direktorin. Inwiefern sind Sie beruflich angekommen?
Lucia Werder: Die Stadtbibliothek Bremen ist eine sehr besondere und herausragende öffentliche Bibliothek, auch mit Blick auf die Großstadtbibliotheken in Deutschland. Wir haben hier sehr viel Innovationskraft und wir stehen an vielen Stellen sehr weit an der Spitze, was Veränderungen und Kreativität anbelangt. Wir haben außerdem ein Team, das sehr kundenorientiert arbeitet, was natürlich gut ist als Ausgangslage für die weiteren Herausforderungen, die uns bevorstehen, aber auch, was die Verankerung in der Stadtgesellschaft anbelangt. Das alles trägt dazu bei, dass ich sage: Das ist der Ort, an dem ich gerne arbeiten möchte.
Welchen Herausforderungen müssen Sie sich derzeit stellen?
Wo ich ein ganz großes Potenzial sehe, ist die Beteiligung von Kund:innen an unseren Angeboten auf allen Ebenen. Wir arbeiten schon viel mit Kooperationspartnern zusammen, denen wir zum Beispiel unsere Räume zur Verfügung stellen, um ein größeres Angebotsportfolio zu bieten. Eine weitere große Herausforderung ist auch die Frage, wie wir als Stadtbibliothek die Demokratiefähigkeit fördern können. Das tun wir zum Beispiel, indem wir Diskursräume öffnen und Menschen dazu anregen, miteinander ins Gespräch zu kommen, und sie eben nicht in ihren eigenen kleinen Bubbles zu verhaften. Bibliotheken sind besondere Orte, an denen Menschen aus unterschiedlichsten Lebenswelten mit ganz unterschiedlichen Bildungsbiografien und sozioökonomischen Hintergründen zusammenkommen. Es gibt tatsächlich zu wenige dieser Orte in der Stadtgesellschaft.
Ein großer Fokus Ihrer Arbeit liegt auf Kindern und Jugendlichen. Welche Aufgaben gibt es in dem Bereich?
Leseförderung ist nach wie vor ein Dauerbrennerthema, wo wir schon ganz viel machen. Aber wir arbeiten stetig daran, dass wir immer ein attraktives Angebot haben, von dem sich vor allem Kinder und Jugendliche angesprochen fühlen. Unser Team entwickelt dafür immer wieder neue Formate mit spielerischen Ansätzen, die Spaß machen und Freude am Lesen wecken. Das ist ganz klar ein kontinuierliches Arbeitsfeld, genauso wie das Thema Medienkompetenzförderung. Fake News sind ein großes Thema, vor allem im Hinblick auf künstliche Intelligenz. Dazu machen wir viel mit Schulklassen, es geht dabei um Fragen wie: Kann ich überhaupt noch erkennen, was Fake ist? Digitalisierung ist generell etwas, das uns sehr beschäftigt.
Wie gut aufgestellt ist die Stadtbibliothek Bremen in Sachen Digitalisierung?
Wir haben mit Blick auf das Medienangebot ein gutes Portfolio an digitalen Angeboten. Zum Beispiel bieten wir Zugang zu der Onlinestatistikplattform Statista, haben Angebote zu den Themen Coding und Robotik, Virtual Reality und auch Videotutorials. In Sachen Medienkompetenzförderung haben wir viele kreative Angebote, unter anderem kann man mit dem Programm Techtool etwas zeichnen und die Ergebnisse zum Leben erwecken. Unsere Kolleg:innen entwickeln wirklich viele Angebote und Workshops, um kreativ werden zu können. Natürlich haben wir auch regelmäßig Angebote für Senior:innen. Generell versuchen wir, Angebote für verschiedene Altersgruppen zu machen.
Inwiefern ergeben sich aus dem aktuellen UNESCO-Titel „City of Literature“ neue Akzente für die Stadtbibliothek Bremen?
Auf jeden Fall bringt es uns eine verstärkte Sichtbarkeit und Wahrnehmung, weil es in der Jurybegründung unter anderem hieß, dass die Stadtbibliothek Bremen mit ihren attraktiven und innovativen Standorten mit dazu beigetragen hat, dass wir den Titel „City of Literature“ erhalten haben. Und ich erhoffe mir, dass sich die Literaturszene noch stärker vernetzt und sich die vielfältigen Potenziale noch besser verknüpfen lassen. Vielleicht entstehen auch völlig neue Veranstaltungsformate. Das ist, finde ich, für uns als Stadtbibliothek eine echte Chance.
Sonntagsöffnungen sind seit vielen Jahren ein großes Thema, das Ihrer Vorgängerin Barbara Lison am Herzen lag. Wie stehen Sie zu dieser Forderung?
Die Möglichkeit finde ich sehr wichtig. Es stellt sich völlig zurecht die Frage: Warum kann ich sonntags ins Museum oder ins Theater gehen, aber nicht in die Bibliothek? Alle Bibliotheken in Deutschland, die schon eine Sonntagsöffnung ermöglichen, zum Beispiel in Nordrhein-Westfalen, Berlin oder Hamburg, zeigen, dass die Häuser sonntags voll sind. Es ist für viele Berufstätige und Familien auch die einzige Möglichkeit, sich länger in einer Bibliothek aufhalten zu können. Einfach die Möglichkeit zu haben, um überhaupt in dem Rahmen denken zu dürfen und zu können, finde ich wichtig und zentral – mit all den Fragezeichen, die damit verbunden sind, zum Beispiel im Hinblick auf Umsetzung und Kosten. Der Deutsche Bibliotheksverband ist auf politischer Bundesebene weiter an dem Thema dran, denn die Koalitionäre haben sich geeinigt, dass sie dies gerne ändern möchten. Es bleibt weiterhin ein zentrales Anliegen.
Das Interview führte Christina Ivanda.
Weitere Infos unter www.stabi-hb.de.