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Dirk Böhling. Foto: FR
#Kolumne – Baby Boomer Böhling
28. August 2021

Herr Petersen und die Grundschulohren

Unser Kolumnist Dirk Böhling spürte in den 1970er Jahren während seiner Grundschulzeit noch die Ausläufer körperlicher Züchtigung im Klassenzimmer. Wer dem Ohrenziehen von Klassenlehrer Petersen entgehen wollte, musste listig sein ...

Unser Kolumnist Dirk Böhling spürte in den 1970er Jahren während seiner Grundschulzeit noch die Ausläufer körperlicher Züchtigung im Klassenzimmer. Wer dem Ohrenziehen von Klassenlehrer Petersen entgehen wollte, musste listig sein ...

Während in den Gymnasien der 70er-Jahre schon der eine oder andere Lehrer seiner Schülerschaft das „Du“ anbot und damit einen mittelschweren Skandal innerhalb der Elternschaft auslöste, war in der Grundschule meiner Kindheit die Welt für viele Altvordere noch in Ordnung. Tatsächlich gab es in meiner Grundschulzeit noch die Ausläufer körperlicher Züchtigung im Klassenzimmer zu spüren.

Unser Schuldirektor Herr Petersen, ein älterer und sehr strenger Herr, wurde mein Klassenlehrer, als ich in die Dritte kam. Ein schwarzer Tag: Schon in den ersten Minuten war klar, dass wir beide keine Freunde werden würden. Wir kannten Herrn Petersen bis dato nur als Vertretungslehrer im Sportunterricht, wo er mit hochgekrempelten Anzughosen und geripptem Unterhemd in seine Trillerpfeife blies, um unserer Leibesertüchtigung Tempo und Rhythmus zu geben. Ich spreche hier wohlgemerkt nicht von der Napola sondern von einer ganz normalen Grundschulklasse Anfang der 70er-Jahre.

Mal abgesehen von der Tatsache, dass ein – vorsichtig ausgedrückt – militärisch-preußisch geprägter deutscher Charakter wie Herr Petersen mit einem langhaarigen Rotzlöffel mit Klassenkasper-Diplom so gar nichts anfangen konnte, unterrichtete Herr Petersen auch noch Mathematik – muss ich mehr sagen? Dieses Unterrichtsfach blieb mir ganze dreizehn Jahre lang so fremd wie die Raumfahrt, obwohl ich die im Falle eines Falles noch hinbekommen hätte … Mathe nicht!

Die Tatsache, dass ich darüber hinaus auch ein nicht sehr akribischer und als Sohn einer berufstätigen Mutter auch nicht durchgehend gut überwachter Hausaufgaben-Erlediger war, machte die Sache nicht besser … Regelmäßig musste ich zugeben, die gestellten häuslichen Aufgaben „nicht so ganz“ geschafft zu haben, was bei Herrn Petersen keine gute Idee war. Aus guter Gewohnheit reagierte der gestrenge Altpädagoge auf solche Fälle nämlich auf seine ganz eigene Weise: So durfte der kleine Dirk im Falle einer Regelverletzung jedweder Art ans Lehrerpult treten, wo er dann meist sein rechtes Ohr freilegen musste, an dem der graumelierte Anzugträger auf der anderen Seite des Pultes dann nach Herzenslust zu ziehen begann.

Da sich dieses schmerzhafte Ritual verlässlich wiederholte, durfte es dann glücklicherweise auch mal das linke Ohr sein – schon allein der Symmetrie wegen. Ich bin übrigens der festen Überzeugung, dass ich heute ohne Herrn Petersen kleinere Hörorgane hätte – aber sei’s drum. Bei einem anderen Ritual meines Klassenlehrers konnte ich ihn allerdings regelmäßig überlisten. Beim Abfragen des kleinen Einmaleins musste die ganze Klasse stehen, und wer die richtige Antwort brüllte, durfte sich setzen. Da es nicht zu erwarten war, dass ich auch nur eine Lösung schnell herausbringen würde, rief ich einfach immer „siebenundzwanzig“. Irgendwann kam schon die Frage nach „neun mal drei“ oder „drei mal neun“! So saß ich meistens schon im ersten Drittel des Wettbewerbs wieder auf meinem Stuhl und Herr Petersen ließ meine Ohren in Ruhe. Sag noch mal einer, ich hätte Mathematik nicht verstanden.

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